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Das Ausland. 1,2.1828

besondern Glaubensmeinungen der Protestanten, und daß, obwohl ein Muselmann, er doch ein Philosoph sey. – Ich erzählte ihm einfach den Vorgang, daß die drei Gefangenen, schon bevor ich sie gesehen hätte, von der Wahrheit der christlichen Religion überzeugt gewesen wären, und daß sie, als einer ihrer Freunde von ihren Landsleuten ergriffen wurde, zu mir flohen, ich sie bei mir verborgen hielt und taufte. Ich sey der Meinung, daß es mir vollkommen gelungen sey, sie in ihrer Ueberzeugung zu bestärken; und es stehe damit nicht das Geringste von politischer Natur in Verbindung. Er drückte seine Bereitwilligkeit aus, Alles für sie zu thun, was in seinen Kräften stände. Ich drang besonders darauf, daß den bekehrten Juden Sicherheit gegen die Belästigungen ihrer Landsleute gewährt würde, worauf er mir scherzhaft erwiederte: „das ist etwas, wogegen Pilatus Jesum Christum selbst nicht schützen konnte.“

„Der Beamte eröffnete mir ohne Rückhalt, daß die türkische Regierung nicht im Stande sey, sich von den Bemühungen der religiösen Gesellschaft in England einen Begriff zu machen. Sie wären wohl bekannt mit den Intriguen der Jesuiten in China und andern Gegenden, so wie mit dem Fanatismuns, den die Spanier in früheren Zeiten gezeigt hätten; aber die Engländer hätten sie immer als ein Volk betrachtet, das frei sey von Aberglauben; sie müßten daher denken, daß irgend ein politischer Zweck hinter diesem Verfahren stecke. Ich versicherte ihn, daß die Gesellschaft, auf die er sich bezöge, nicht in der geringsten Verbindung mit dem brittischen Gouvernement stehe; und daß, obwohl es leider Engländer gebe, welche gleichgültig in Religions-Angelegenheiten wären, doch die Personen, welche diese Gesellschaft bildeten, in der That die Ueberzeugung hätten, daß das Evangelium eine göttliche Offenbarung sey, und es daher für ihre Pflicht hielten, eine so unschätzbare Gabe der ganzen Welt mitzutheilen. Er gefiel sich hierauf in einigen scherzhaften Bemerkungen über die Unmöglichkeit, die Welt durch Bücher zu bekehren; indem er anführte, daß Paulus auf andere Weise bekehrt worden sey, und daß auch Moses seinen Plan nicht auf diese Art ausgeführt habe. Er fragte mich so bestimmt nach dem Zweck von Mr. Leeves (eines andern Missionärs) Aufenthalt in diesem Lande, daß ich mich für berechtigt halte, zu vermuthen, daß dieß schon seit längerer Zeit ein Gegenstand des Mißtrauens für die türkische Regierung gewesen seyn müsse. Ich sagte ihm, daß Mr. Leeves Zweck einzig der sey, die heiligen Schriften zu verkaufen. Es wurde noch manches Andere über Religion gesprochen, und ich hege das Vertrauen, daß diese Unterhaltung ihm jeden Verdacht benahm, daß unsere Bestrebungen eine politische Tendenz hätten, oder daß wir einen jesuitischen Bund zu schmieden beabsichtigten. Wir wurden sehr vertraut, und er erbot sich, mich bei andern Türken einzuführen und mich mit in die Schule zu nehmen, in welcher die französische Sprache und verschiedene Zweige der Wissenschaften gelehrt werden.“

„Diese ganze Scene war für mich von dem höchsten Interesse. Es war mir, aller Wahrscheinlichkeit nach, gelungen, vier verfolgte Christen vom Tode zu erretten. Ich war, wie ich schon bemerkte, in dem Gebäude, welches die großen Regierungsbehörden des ottomanischen Reiches enthält und des Namens der hohen Pforte gewürdigt wird. Die Dome und Minarets der Moschee von Sultan Soliman, eines der prächtigsten Bauwerke in der Türkei, thürmten sich empor über meinem Haupte. Die geräumigen Hallen und Gänge, durch welche ich gegangen war, legten alle eben so viele characteristische Proben des türkischen Geschmacks dar. Ich war umgeben von zahlreichen Wachen und Dienern, ausgezeichnet durch die glänzende Mannigfaltigkeit der Costüme, die man im Orient findet, und rings um mich her sah ich alle Pracht der asiatischen Gebräuche. Das Fenster des Gemachs, wo ich mich befand, ging auf einen großen Hof, in welchem reich geschmückte Pferde ihre Herren erwarteten. „Sehen Sie diesen Offizier, der jetzt aus dem Hofe reitet?“ fragte mein türkischer Freund. Ich bemerkte einen Mann, dessen Kleidung und Benehmen eine Person von bedeutendem Rang bezeichneten. „Er geht,“ fuhr er fort, „der täglichen Ordnung gemäß, den Sultan mit den Angelegenheiten bekannt zu machen, die hier verhandelt worden sind.“ „Wendet der Sultan,“ fragte ich, „genaue Aufmerksamkeit auf die Geschäfte? Weiß er von diesem Vorfall mit den getauften Juden?“ „Ja, gewiß,“ antwortete er, „es ist nichts, was seiner Aufmerksamkeit entgeht. In Europa bildet ihr euch ein, daß wir alle Barbaren seyen, und daß der Sultan den ganzen Tag nichts thue, als sich auf seinem Divan zu dehnen und zu amüsiren; aber die Sache verhält sich anders. Eure europäischen Fürsten sind weibischer, als Sultan Mahmud.“ Er machte darauf verschiedene Bemerkungen über neuere öffentliche Ereignisse, wodurch ich überzeugt wurde, daß die Türken in der That zu einer höheren politischen Einsicht erwacht sind, als ich ihnen je zugetraut hätte.“

„Ich führe nur die Hauptgegenstände unserer Unterhaltung an, um zu zeigen, daß die Türken Männer in ihren Diensten haben, die besser unterrichet sind, als man gewöhnlich annimmt. Diese Gegenstände waren: Religionsfreiheit in England – Katholiken-Emancipation – der König von England als Haupt der Kirche – das Benehmen der Spanier in Amerika – die Existenz griechischer Manuscripte im Serail – Kegelschnitte – die Lage alter Städte in Kleinasien – der Koran etc. Er sagte mir, daß er ein großer Freund der Mathematik sey und eine französische Abhandlung über die Kegelschnitte in’s Türkische übersetzt habe. Er fragte mich, ob Mr. Leeves in die Sache der bekehrten Juden verwickelt sey? „In Bezug auf mich selbst,“ antwortete ich, „will ich Ihnen jede Auskunft geben, die Sie wünschen; über Dinge, die meinen Freund angehen, kann ich indessen, als Ehrenmann, nichts sagen.“ – „Wenn ihr nun die ganze Welt bekehrt haben werdet, frage er, was wird denn die Folge davon seyn?“ Ich antwortete: Wenn die Vorschriften des Christenthums allgemein befolgt werden, so wird Neid, Haß, Mord, Krieg aufhören und alle die andern Quellen des Elends werden versiegen. Wir werden alle Brüder seyn, und Glückseligkeit und Zufriedenheit wird auf Erden wohnen. Er schien überrascht (?) durch diese Erwiederung.“

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_610.jpg&oldid=- (Version vom 23.9.2023)