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Das Ausland. 1,2.1828

Die Chinesen haben den Glauben, daß die Vorsehung oder irgend eine höhere Macht es vorher bestimmt, wenn zwei Personen sich ehelich verbinden sollen; und diese Vorherbestimmung nennen sie Yin-yuen, oder die Ursache der Heirath: daher das Sprichwort, welches einem auch bei uns gebräuchlichen entspricht: „Glückliche Ehen werden im Himmel geschlossen“ Ki go tsze tëen tsching).

Es ist eine Eigenthümlichkeit der chinesischen Sprache, daß selbst ihre einzelnen Ausdrücke, an und für sich betrachtet, interessante Aufschlüsse über die Sitten des Landes geben. Alle Charactere, die sich auf die Ehe beziehen, haben das Wort neu oder Weib zur Wurzel. Merkwürdig ist in dieser Beziehung ein Umstand, welcher – soviel uns bekannt – bisher der Aufmerksamkeit der Sinologisten entgangen ist, daß nämlich dieß neu in dem runden Character, aus welchem der gegenwärtige eckige entstanden ist, die Gestalt eines Weibes in der Attitude der medicäischen Venus darstellt. – Eine Braut heißt in China Yin, ein Wort, zusammengesetzt aus den Characteren von Weib und groß, in einem Viereck eingeschlossen, welches so viel als weil bezeichnet. Der Bräutigam wird Hwan genannt, ein Ausdruck, der aus den Characteren von Weib und Dunkel besteht, weil nach alter Sitte der Bräutigam in dem Dunkel des Abends kam, um seine Braut zu empfangen. Die beiden Worte Hwan-yin zusammengesetzt bedeuten Heirath.

Wenn in China eine Heirath stattfindet, so müssen die Luhle oder sechs Ceremonien beobachtet werden; widrigenfalls ist die Ehe unförmlich, ein Ausdruck, der soviel sagen will, als wir unter ungesetzlich und criminell verstehen. Jene Ceremonien sind:

Zuerst, wenn der Vater und ältere Bruder (wofern er einen hat) eines jungen Mannes beschlossen haben, daß er heirathen soll, so müssen sie durch einen Zwischengänger von den Eltern und dem Bruder des Mädchens, das sie zu seinem Weibe bestimmt haben, ihren Namen so wie den Tag und die Stunde ihrer Geburt erfahren. Diese Facta werden dann einem Astrologen vorgelegt, der durch seine Kunst ausmittelt, ob die Verbindung glücklich ausfallen werde, oder nicht. Antwortet er günstig, so kann der Plan ausgeführt werden; ist seine Antwort ungünstig, so wird das Project aufgegeben.

Zweitens, wenn die beabsichtigte Verbindung für glücklich erklärt wird, so lassen die Freunde des jungen Mannes dieß durch den Zwischenträger den Eltern des Mädchens wissen und um dieselbe förmlich anhalten: diese Ceremonie wird Na-keih genannt, oder das Ueberbringen glücklicher Nachrichten.

Drittens müssen die Freunde des Bräutigams den Eltern des jungen Mädchens ein schriftliches Heirathsversprechen senden und das Gleiche von ihnen verlangen: diese Ceremonie heißt: Na-tsae, das Geschenk-geben, obwohl eigentlich noch keine Geschenke gemacht werden.

Viertens sendet der junge Mann den Freunden seiner Braut Gold, Silber, oder Stücke Seidenzeug, Schafe, Wein, Früchte etc., was Na-pe genannt wird.

Fünftens wird eine Botschaft von den Freunden des Mannes gesandt, um die Eltern der Braut aufzufordern, den Tag der Hochzeit zu bestimmen, und diese Form heißt Tsing-ke oder das Verlangen der Zeitbestimmung.

Zuletzt geht der Bräutigam in Person, um seine Braut zu empfangen und sie zu sich nach Hause zu führen, was Tsing-ging oder: „gehen und die Braut suchen“ heißt.

Die Heirathsgebräuche der Tataren in China sind von diesen Ceremonien völlig verschieden, indem bei denselben nur eine von dem Bräutigam gesandte Matrone das Haar der Braut mit einer Nadel zu flechten braucht, um die Verbindung abzuschließen.

(Schluß folgt.)


Die neugriechische Poesie.


(Schluß.)

Es ist dasselbe lautere und innige Gefühl, welches in diesen Gesängen, auf andere Gegenstände gerichtet, bald als Lust und Süßigkeit des Lebens sich ausspricht, bald als Sehnsucht nach der Heimath, einer Heimath, deren Anmuth in diesen Gesängen jede Trennung als ein Ungemach, jede Fremde als den Ort der Trauer betrachten läßt, eines Lebens, das in solcher Heimath, unter der dunkeln Klarheit jenes Himmels, in dem ätherischen Hauche jener balsamischen Luft, über den blauen Fluthen des unendlichen Meeres, in der Anmuth üppiger Thäler, in der Majestät erhabener Gebirge, unter dem Duft der Blumen und der Fülle der edelsten Früchte mit doppeltem Reize schimmert, und, das Blut in raschen Schlägen leicht bewegend, den unglücklichen Bewohnern auch im tiefsten Ungemach Kraft und Jugend des Geistes bewahrt hat. Aus eben demselben fließt in diesen Gesängen die Lebendigkeit, die Unmittelbarkeit der Auffassung, die sonnige Klarheit und Wärme der Ansichten, der Empfindungen, und als freie Gabe der Huldgöttin, jene mühelose Kunst, das Tiefste, das Bewegendste, das Erheiterndste in Einem Augenblicke zu zeichnen und zu verbinden, so daß es wie auf einmal vor die Augen tritt und das Herz rührt, während der Blick mit Wohlgefallen auf dem lichten Gewand der Bilder verweilt, mit deren innigen und lautern Farben, wie mit dem bunten Teppich des Frühlings, jene anmuthigen Gestaltungen umgeben sind.

Dieselbe Lebendigkeit und Lauterkeit wird man finden, wo dieses Gefühl sich über die geselligen und sittlichen Verhältnisse des Lebens ausbreitet, wo es den Freund, die Aeltern, die Kinder umfaßt. Nirgend ist die Freundestreue, die Zärtlichkeit, zumeist der Mütter gegen die Kinder, und der Kinder gegen die Mütter, die eheliche Liebe, die Leidenschaft der Geschlechter zu einander zugleich naiver und inniger geschildert worden, als in diesen einfachen und der Natur unmittelbar entnommenen Liedern. So klagt, um unter vielen eines der einfachsten zu wählen, ein von seiner Mutter getrennter Sohn:

„Eröffne dich, mein leidend Herz, ihr meine bittern Lippen,
Eröffne dich, und sage mir ein einzig Wort des Trostes.
Für dich ist Hülf’ im Tod allein, Mitleiden nur im Grabe:
Wenn Leben sich von Leben trennt, wo wäre Trost zu finden?

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_612.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)