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Das Ausland. 1,2.1828

sich derselben zu bedienen und zieht sich, nachdem sie mit dem Bräutigam „die Gans verehrt“ hat, wieder in ihre Kammer zurück. Die Kie-po fordern nun den Bräutigam auf, gleichfalls in dieselbe einzutreten, um der Braut ihren rothen Schleier von dem Haupt zu nehmen und den Koffer zu öffnen, der ihre Kleider enthält, und auf den einige Geldstücke gelegt sind, um Le-sche, gutes Glück, zu bringen.

Nachdem diese Ceremonien zu Ende sind, wird ein Tisch in das Gemach gebracht, mit Wein, an welchen der Bräutiggam und die Braut allein niedersitzen; dieß heißt Tso-ko-tang, oder das Sitzen in dem Saale der Lieder [1]Hierauf wird die Ceremonie Ho-kin-le, oder das Becherzusammenfügen vorgenommen: der Bräutigam trinkt ein wenig; die Braut bedeckt ihr Gesicht mit den Händen und thut dasselbe.

Die Kie-pos senden nun eine Matrone hinein, welche viele Kinder gehabt hat, das Weib eines guten Mannes, und die durch ihr ganzes Leben vom Glück begünstigt worden ist. Die Gäste machen sich lustig, bis die Stunde kommt, wo man sich zurückzuziehen pflegt, worauf sie den Bräutigam zu der Kammerthür begleiten und auseinander gehen. Den nächsten Morgen kommen Mann und Weib heraus in den Saal, um die Haushaltsgötter anzubeten, und ihren Eltern, Oheimen und Basen ihre Ehrfurcht zu bezeugen. Darauf kehren sie in ihre Kammer zurück, wo sie die Besuche ihrer jungen Freunde annehmen, denen bei dieser Gelegenheit das Recht zugestanden ist, den Ehemann zu der Zielscheibe ihrer Witze zu machen, weshalb diese Ceremonie „der Angriff auf den Bräutigam“ heißt.

Die Braut besucht ihre Eltern, am dritten Morgen nach der Vermählung, in einer schön ausgeschmückten Sänfte, die ihr Mann bereit hält, der bei dieser Gelegenheit das Pi-jo (weiße Fleischfest) gibt. Nach Verlauf eines Monats senden die Freunde der Frau ihr einen Kopfputz, und es wird den beiderseitigen Verwandten des neuverehelichten Paares ein neues Fest gegeben, welches die Hochzeitsceremonien beschließt.

Da es in China nicht gewöhnlich ist, daß ein Sohn, der sich verheirathet, deshalb eine besondere Haushaltung errichtet, sondern die Braut in das Haus seiner Eltern bringt, so verbreiten sich die chinesischen Sittenlehrer weitläufig über die Pflichten der Weiber gegen die Eltern ihrer Männer; und bei den Armen scheint es manchmal ein Hauptzweck der Verheirathung ihrer Söhne zu seyn, die häuslichen Dienstleistungen von den Weibern derselben zu erhalten, wenn ihre eigenen Töchter aus dem Hause geheirathet haben.

Das Gesetz verordnet, daß, wenn ungesetzmäßige Ehen geschlossen werden, dieß Verbrechen den Verwandten, welche die Aufsicht ausüben, und dem Zwischengänger zur Last gelegt werden soll. Solche ungesetzlichen Ehen sind indessen sehr häufig und hängen von einer Menge von Umständen ab, die zu kleinlich sind, um hier auseinandergesetzt zu werden. So ist es, um hier nur ein paar Beispiele anzuführen, gegen das Gesetz, zu heirathen, während noch die gesetzliche Trauer für Eltern oder einen Mann (drei Jahre) dauert; es ist ungesetzmäßig, wenn eine Person heirathet, deren Vater wegen eines schweren Verbrechens eingekerkert ist. Auch Täuschungen, die von den Zwischengängern oder den Parteien selbst bei Heirathen begangen werden, bestraft das Gesetz; so wie es Vorsorge trifft, um Streitigkeiten, die zwischen den beiden Parteien vor der Vollziehung der Hochzeit eintreten könnten, auszugleichen; und es bestraft den Bruch eines Eheversprechens, oder, wie die Chinesen denselben sehr bezeichnend nennen: „die Reue einer beabsichtigten Heirath“ als ein Criminalverbrechen mit fünfzig Bambusschlägen.

Den chinesischen Unterthanen an der Südwestgrenze ist nicht erlaubt, sich mit Fremden von der jenseitigen Grenze zu verheirathen; eben so dürfen sich in dem südwestlichen Theile der Provinz Ki-rei-tscho die Chinesen in der Ebene in keine ehelichen Verbindungen mit den Meaou-tsze, oder Bergbewohnern, einlassen, einem alten, noch unabhängigen Stamm, der gegenwärtig wieder unter den Waffen gegen die kaiserliche Autorität ist.[2]

Die Heirathen der Sclaven sind in China nicht nur nicht verboten, sondern der Herr, welcher seine Sclaven zur Ehelosigkeit zwingt, ist sogar straffällig. Diejenigen, welche Haussclaven halten, (sagt der Leuh-le) und nicht für den weiblichen Theil derselben für Männer sorgen, sondern sie in einsamer Ehelosigkeit lassen, sind eines der schwersten Vergehen schuldig.

Ein merkwürdiges Beispiel von der Treue, welche Chinesen, die in früher Kindheit von ihren Eltern einander verlobt werden, oft gegen einander bewahren, gibt ein Fall, welcher sich in dem zwei und zwanzigsten Regierungsjahre des Kaiser Kien-long ereignete:

Tsching-yun-yuen war in seinem zweiten Jahre von seinem Vater mit der Tochter eines Freundes, die Liu-schi hieß, verlobt worden. Die eine der beiden Familien lebte im Süden von China, die andere im Norden an dem weitberühmten Thien-tsin oder Himmelsstrome. Der Vater des Knaben starb, seine Familie zerstreute sich und weder der Bräutigam noch die Braut hörten während einer Zeit von mehr als 50 Jahren das Geringste von einander. Dennoch hielten beide Theile standhaft ihr Versprechen, „treu ihrem Vorsatz, heißt es, wie der Pfeil vom Bogen in die Scheibe fliegt und nie zurückkehrt.“ Der Mann war zuletzt zu der Stelle eines Schulmeisters auf einem Pekinger Kornboot herabgekommen, als der zufällig auf der Durchfahrt durch den Thien-tsin davon hörte, daß eine Jungfrau, Namens Liu-schi sich von der Welt zurückgezogen und in ein Ni-yan oder Nonnenkloster eingeschlossen habe. Auf weitere Nachfrage fand er, daß die

  1. Wahrscheinlich bezieht sich dieser Name auf die Sitte der Chinesen, sich zu einem Becher Wein zusammen niederzusetzen, um Verse zu machen; s. den von Abel-Remusat übersetzten Roman Yiu-kao-li a. m. O.
  2. Die Chinesen haben große Furcht vor diesem Stamm, was vielleicht größtentheils dem Umstande zuzuschreiben ist, daß der Name desselben (Meaou-tsze) auch ein fabelhaftes Geschlecht von Wilden mit Flügeln bezeichnet.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_617.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)