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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 150. 29 Mai 1828.

Die Moldau und Wallachei.



(Fortsetzung.)

Die bloße Gegenwart der englischen Flotte reichte hin, den Sultan in seinen Entschließungen wankend zu erhalten; die Unterhandlungen, obgleich träg begonnen, wurden fortgesetzt. Sebastiani schickte den General Franchini zu dem Chef der Janitscharen, damit dieser dem Großherrn mit einem Aufstande drohen, und dadurch den brittischen Einfluß paralysiren sollte. Pehlivan Mehemet erhielt eine Audienz bei seinem Herrn, und erklärte ihm, es sey unmöglich, die Wuth der Janitscharen im Zaume zu halten. Mit übertriebenen Farben schilderte er dem Sultan die Gährung und den Unwillen des Volks über den der Hauptstadt angethanen Schimpf, und gab zu verstehen, daß die Janitscharen sich einem Vertrage nicht unterwerfen würden, den sie als eine Capitulation betrachten müßten. Selim ließ sich einschüchtern: er beugte sich dem Willen seiner anarchischen Offiziere. Jede Verbindung mit dem englischen Botschafter ward abgebrochen; die Ufer des Propontis bedeckten sich mit Batterien; die Fahne des Propheten entfaltete sich vor den Pforten des Serails, und General Sebastiani ward in Wirklichkeit der Herr Constantinopels. Der brittische Botschafter erwachte aus seinem Schlafe, als jede Unterhandlung bereits unnütz geworden war. Vergebens suchte die englische Flotte die verlorene Zeit wieder zu gewinnen. Im Augenblick, als sie die Meerenge herabschiffen wollte, ward sie von einem Sturme überfallen. So war es unmöglich sie gegen Constantinopel zu richten, und höchst gefährlich sie in der nämlichen Stellung zu lassen, da der Feind auf den beiden Ufern alles vorbereitet hatte, um sie zu beschießen. Man mußte sich daher zum Umkehren entschließen. Die Flotte fuhr zurück und wurde zwischen den beiden Schlössern der Dardanellen von einer furchtbaren Artillerie beschossen, die aus Kanonen von ungeheurem Caliber bestand, mit mehreren hundertpfündigen Kugeln, die zum Erstaunen und Schrecken der Engländer von einem Ufer zum andern reichten. So erreichte man nicht einmal den Zweck, der noch am leichtesten zu erlangen gewesen wäre, in Constantinopel durch die Blokade der Dardanellen eine Hungersnoth hervorzubringen.

Wenn Rußlands Unternehmungen in der Türkei nicht glücklicher waren, so war dieß eine nothwendige Folge der politischen Stellung, in die jene Macht sich versetzt sah. Rußland machte Frankreich die Herrschaft des Continents streitig. Alle seine Kräfte mußte es daher auf Einem Punkte, im Norden, zusammenziehen. An Großbritannien war es, Constantinopel im Schach zu halten: wir haben gesehen, auf welche Weise dieses seiner Verpflichtung Genüge that. Die russische Grenzarmee sollte bloß den Unternehmungen der Türken sich widersetzen: dieß that sie. Auf der andern Seite betrieb auch der Großvezier die Feindseligkeiten nicht besonders lebhaft. Napoleon’s Politik fing an dem Divan verdächtig zu werden. Der Vertrag von Tilsit bestätigte den Verdacht. Durch diesen Vertrag hatte der Kaiser, statt die Wiedereinsetzung der Pforte in alle ihre Rechte in den Fürstenthümern zu verlangen, bloß einen Waffenstillstand ausgemacht, unter der Bedingung, daß die russische Armee die Fürstenthümer räumen sollte, so wie die vermittelnde Uebereinkunft der gegenseitigen Verhältnisse getroffen seyn würde. Diese Bedingung ward nicht erfüllt, sollte auch vielleicht nicht erfüllt werden; die Russen blieben daher im Besitz, und es mußten neue Unterhandlungen eröffnet werden. Indessen aber brach in Constantinopel eine jener in den Annalen des orientalischen Despotismus so furchtbaren Revolutionen aus. Ein wüthender Pöbel, eine zügellose Soldatesca, ein unwissendes, fanatisches und in sich getheiltes Ministerium überlieferten die Hauptstadt der Anarchie.Das Pfand des Friedens war der Kopf des Sultans, und Selim verlor Haupt und Krone. Augenblicklich ward ein Ministerium errichtet, das eben so unwissend, wild und blutdürstig als das vorhergehende war, aber, um sich Popularität zu verschaffen, zu einer gegen England friedlichen Politik sich hingezogen fühlte. Diese Veränderung der Ansicht scheint von dem neuen brittischen Cabinet, das sich auf den Trümmern der Fox’schen Partei erhob, vorausgesehen worden zu seyn. Sir Arthur Paget ward im J. 1807 beauftragt, sich Gewißheit zu verschaffen, ob der Divan geneigt sey, die alte Allianz wieder anzuknüpfen. Seine Vorschläge hatten anfangs keinen Erfolg. Der neue Bevollmächtigte aber war glücklicher, und so wurde im December 1808 der Friede definitiv abgeschlossen.

Napoleon hatte Jahre lang der europäischen Politik die Richtung gegeben. Kein Geschichtschreiber wird dem ungeheuern, allumfassenden, durch nichts zu beugenden Geist dieses außerordentlichen Mannes volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn er ihm nicht aus dem Getümmel des Feldlagers und der Schlacht in die Einsamkeit des Cabinets folgt. In seinen glänzendsten und entscheidensten militärischen Unternehmungen kann man einen Theil des

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_623.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2023)