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Das Ausland. 1,2.1828

Erfolgs auf Rechnung des Muthes seiner Heere, der Geschicklichkeit seiner Generale setzen: mit Niemand aber theilt er den viel seltnern Ruhm, nach seinem Willen alle Cabinette Europa’s gelenkt zu haben; jenen übermenschlichen Scharfsinn, mit dem er sie alle an seine Plane zu fesseln wußte; jene, vielleicht oft unglückbringende aber stets bewundernswürdige Macht des Geistes, die den Starken wie den Schwachen, die Barbaren wie die civilisirten Völker, die furchtsamen Höfe Deutschlands wie die stolzen Nachfolger Peters des Großen und Amuraths mit sich fortriß, sie zwang seine Plane zu fördern, und sich an seinen Triumphwagen zu spannen, auf der gefahrvollen Bahn eines Weltreiches. [1]

Die ottomanische Pforte hatte Agenten nach Bucharest geschickt, um wegen der Restitution der Fürstenthümer zu unterhandeln; in Napoleons Planen aber lag es, daß Rußland und die Türkei ihre Feindseligkeiten fortsetzten. Sogleich nach der berühmten Conferenz von Erfurt, die den Kaiser Alexander in das Continentalsystem zog, erklärte der in den Fürstenthümern befehligende russische Obergeneral, da der Kaiser, sein Herr, sich verbürgt habe, daß England von dem Festlande völlig ausgeschlossen werde, so könne er mit der Pforte blos dann in weitere Unterhandlungen sich einlassen, wenn der brittische Botschafter von Constantinopel entfernt würde. Da die Pforte sah, daß die Frage wegen Besetzung der Fürstenthümer gegen sie entschieden sey, rief sie ihre Bevollmächtigen von dem Congresse von Bucharest zurück, und der Krieg begann auf’s neue.

Nie vielleicht zeigte sich Napoleons Politik gewandter, als bei dieser Gelegenheit. Ein geheimer Artikel des Vertrags von Erfurt sprach ihm den Besitz Spaniens zu, und überlieferte Alexandern die europäische Türkei. Um Zeit zu gewinnen, und Spanien der Hülfe Englands zu berauben, wurden Unterhandlungen mit dem brittischen Cabinette eröffnet. Dieses schlug es rund heraus ab, die Sache Spaniens aufzugeben; aber ehe die Conferenzen abgebrochen wurden, hatte Napoleon, in der Absicht, Alexander an sein System zu fesseln, bereits eine Botschaft an den Senat gerichtet, daß die Moldau und Wallachei künftig einen Theil des russischen Gebiets ausmachen würden. Der Entschluß des englischen Cabinets hinsichtlich Spaniens derangirte seinen Plan. Er sah, daß er Rußland das Aequivalent bereits in die Hände gegeben hatte, ehe ihm selbst der Besitz Spaniens gesichert war. Von diesem Augenblick an war er darauf bedacht, Rußland die Fürstenthümer wieder zu entziehen. Er munterte im Geheim die Pforte auf, auf der Restitution zu bestehen, oder sie mit Gewalt wieder an sich zu reißen. Auf der andern Seite verdoppelte er auch seine Bemühungen, daß Rußland die Feindseligkeiten gegen die Türkei wieder beginne. So triumphirte er über die Anstrengungen seines Verbündeten wie seines Feindes, und suchte die Hülfsquellen beider Reiche zu erschöpfen, bis zu dem Augenblick, wo er selbst Rußland angreifen und auf seinem Nacken den Weg nach Constantinopel sich bahnen wollte. Aber in dem Norden ward die Aufmerksamkeit bald durch höhere Interessen, als durch die des Türkenkrieges, in Anspruch genommen. Der Uebergang der französischen Heere über den Niemen eröffnete Alexandern die Augen, und zeigte ihm, wie wichtig es sey, mit der Türkei Frieden zu schließen. Dieß geschah im Jahr 1812, unter Englands Vermittlung. Eine der Bedingungen des Vertrags war die Wiederabtretung der Fürstenthümer an die Türkei, mit Ausnahme eines kleinen Theils der Moldau, der zwischen dem Dniester und dem Pruth lag, so daß der letztere Fluß die Grenze beider Reiche bilden sollte. –

Wir andern Europäer finden es vielleicht auffallend, daß ein Sultan stets Menschen findet, die nach den Stellen von Ministern, Generalen, Diplomaten lüstern sind. Nichts beweist besser, wie tief der Ehrgeiz, die Sucht nach Gewalt, mit unserer ganzen Natur zusammengewachsen ist. Die Würdeträger der Pforte entgehen selten einer Catastrophe, selbst wenn ihre Verwaltung noch so glücklich war. In einem Staate, wo das Bleigewicht des Despotismus, ohne Unterschied des Standes und Ranges, gleichmäßig auf die ganze Bevölkerung drückt, ist die Geldgier der große Hebel von allem, was geschieht. Diese Gier ist es, die den Zorn des Sultans stets auf den reichsten seiner Sklaven fallen läßt; sie ist es, die, den Handlungen der Hauptbeamten gegenüber, der stets drohenden Rache den Sporn leiht. Der Divan wird entweder durch die Fluthen eines Volksaufruhrs ausgefegt, oder durch die seidene Schnur des Großherrn für seine Verdienste belohnt. Der Verlust einer Schlacht kostet dem Großvezier das Leben, und der Diplomate, der einem einzigen der tausend Verdachtsgründe sich aussetzt, die den mißtrauischesten Hof der Erde umlagern, fällt unter dem Dolche, fast noch ehe die Dinte trocken wird, mit der er seinen Vertrag unterzeichnete.

Des Pforten-Dolmetschers Demetrius Morusis Schicksal, der mit Rußland den Vertrag von 1812 abgeschlossen hatte, war geeignet jeden abzuschrecken, der weniger ehrgeizig als seine Landsleute, die Phanarioten, wäre. Dieser Fürst blieb in der Wallachei, in der Hoffnung nach glücklich abgeschlossenem Frieden die Regierung derselben zu erhalten. Statt dessen erhielt er die Nachricht, für die Wallachei sey Yanko Caradja ernannt, für die Moldau Carl Callimachi, ihn selbst aber erwarte in Constantinopel die seidene Schnur. Der russische Botschafter bot ihm ein Asyl und eine Pension in Rußland an; aber seine Familie war in der Gewalt der Pforte. Er stand in dem Wahne, sich rechtfertigen, und alle Verantwortlichkeit auf Galib-Effendi, Minister der auswärtigen Angelegenheiten und offiziellen Bevollmächtigten abladen zu können. Er entschloß sich daher nach Constantinopel zurückzukehren; Galib aber hatte geheimen Befehl erhalten, beim Ueberschreiten der Donau ihn arretiren, und nach Schumla, dem Hauptquartier des Großveziers abführen zu lassen. Das Geheimniß ward mit aller asiatischen Zweizüngigkeit bewahrt. Die Verhaftung fand am bezeichneten Orte statt,

  1. Wir bemerken, daß diese Aeußerungen über Napoleon aus einem englischen, und zwar aus dem heftigsten englischen Tory-Journal wörtlich übersetzt sind. Anm. d. Ueb.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_624.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2023)