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besten Stuten, ohne daß er entdecken konnte, wie sie gestohlen oder abhanden gekommen war. Einige Zeit nachher geschah es, daß ein junger Mann aus einem andern Stamm, der um des Scheikhs Tochter freite, immer aber von diesem zurückgewiesen worden wurde, die Einwilligung der Dame erlangte, daß sie sich von ihm entführen ließ. Der Sheikh und seine Leute verfolgten das liebende Paar, das jedoch, nach einem wunderbaren Ritt, wobei sich beide nur eines Pferds bedient hatten, glücklich entkam. Der alte Häuptling schwur, der Bursche müße entweder auf dem Teufel oder auf seinem verlornen Lieblingspferd geritten seyn. Letztere Vermuthung fand sich bestätigt: der Liebhaber war der Dieb sowohl des Pferds als der Tochter und hatte jenes gestohlen, um diese zu entführen. Der Gedanke nun, daß nicht ein Pferd von einer andern Zucht ihn ausgestochen habe, war dem Scheikh eine große Beruhigung, und als der junge Mann sich dazu verstand, die Stute zurückzugeben, verzieh er ihm die Entführung der Tochter.

(Forts. f.)


Statistik der Türkei.

Gebietsumfang[1]

Es ist schwer, statistische Angaben zu erhalten, die uns eine einigermaßen genaue Kenntniß des gegenwärtigen Zustandes der Türkei verschaffen und in den Stand setzen, ein Urtheil über die Ausdehnung ihrer Provinzen, ihre Bevölkerung und ihrer militärischen Hülfsquellen zu fällen. Mehrere der schönen Landschaften dieses Reiches, wo vor 4000 Jahren die Wiege der Civilisation war, sind unvollkommener gekannt, als die halbwilden Regionen der Neuen Welt, deren Entdeckung nicht über drei Jahrhunderte hinaufsteigt. Indessen ist es, wenn man die russischen, englischen und französischen Reisenden zu Rathe zieht, die während der letzten zwanzig Jahre die verschiedenen Theile der Türkei besucht haben, nicht unmöglich, numerische Bestimmungen zu gewinnen, die zu weniger unsicheren Resultaten führen, als die meisten der bisher allgemein herrschenden Meinungen. Wir haben diese Arbeit lange Zeit, ehe der Gegenstand durch die politischen Begebenheiten seine gegenwärtige Wichtigkeit erhalten hatte, angefangen und vollendet; und beabsichtigen jetzt keine weitere Veränderung in derselben, als die, sie in eine flüchtige Uebersicht zusammenzuziehen.

Das ottomanische Reich dehnt sich noch gegenwärtig, wie in der Periode seines Glanzes, über Europa, Asien und Afrika aus; aber unter den weiten Landstrichen, die es zu seinen Provinzen zählt, sind die einen, wie die Barbaresken-Staaten und Egypten, in der That unabhängig von seiner Herrschaft, oder derselben nur zum Scheine unterworfen; die anderen, wie die asiatischen Provinzen, gewähren in ihrem Zustande des Verfalls und der Verwüstung ihm nicht die Hülfsquellen, die ihre Ausdehnung, ihre Fruchtbarkeit und die Reichthümer und Bevölkerung, welche sie in frühern Zeiten besaßen, zu versprechen scheinen.

Die Vereinigung aller dieser Landschaften gibt dem ottomanischen Reiche eine unermeßliche Oberfläche und macht es zu einem der mächtigsten Colosse der Erde. Nach einer approximativen Berechnung ist seine Ausdehnung, ungefähr folgende:

Europäische Türkei mit Griechenland:       023,692 ☐Lieues.
Asiatische Türkei mit den Inseln 058,750 ☐Lieues.
Afrikanische Besitzungen 036,297 ☐Lieues.
 Gesammtbetrag 118,739 ☐Lieues.

An Ausdehnung weicht die Türkei unter allen Staaten Europas daher nur dem russischen Reiche, das sich gleichfalls über drei Welttheile verbreitet und nicht weniger als 210,000 ☐Lieues Landes besitzt. Sie befaßt dreifach den Umfang von Oesterreich mit seinen italienischen Besitzungen, vierfach den von Frankreich und achtmal den der brittischen Inseln. Aber die Barbaresken-Staaten haben sich seit langer Zeit losgerissen; Aegypten hat seine eigenen selbständigen Interessen; ein Theil von Griechenland ist befreit, und ein anderer droht das Joch abzuwerfen: die Cycladen werden nicht säumen, die asiatischen Inseln in ihren Abfall mit hinein zu ziehen; und die Moldau und Wallachei, bereits vorlängst unter dem Schutze Rußlands, werden in diesem Augenblicke auch von seinen Armeen besetzt.

Wenn wir den Umfang dieser bereits ganz oder halb verlorenen Ländereien, welche doppelt so groß sind, als ganz Frankreich, in Abzug bringen, so bleibt das ottomaniche Reich noch größer als die österreichische Monarchie und Preußen zusammengenommen. Es würde nämlich folgende Ausdehnung haben:

Europäische Türkei, ohne Griechenland:       016,128 ☐Lieues.
Asiatische Türkei ohne die Inseln 057,292 ☐Lieues.
 Gesammtbetrag 073,420 ☐Lieues.
Ohne die Moldau und Wallachei 067,516 – –

Dieß beträgt anderthalbmal den Umfang der österreichischen Monarchie, das Doppelte von dem des deutschen Bundes, das Vierfache von Preußen und beinahe drittehalbmal so viel als Frankreich.

Diese unermeßliche Gebietsausdehnung verliert jedoch viel von ihrer Bedeutung, wenn wir die asiatische Türkei als eine entfernte, schlecht bevölkerte, nur schwach mit dem Mutterlande verbundene und mächtigen Feinden benachbarte Colonie betrachten. In der That, wenn nicht die Lage dieser Gegenden unter dem glücklichsten Klima sie begünstigen, wären sie für die Türkei das, was Lappland für Schweden, die sibirischen Gouvernements für Rußland sind.

Abgesehen von der asiatischen Türkei hat das türkische Reich, wenn wir dasselbe auf seine europäischen Provinzen beschränken, ungefähr eine Ausdehnung von 16,128 ☐Lieues. In diesen Grenzen wäre sein Gebiet noch bei weitem größer, als ganz Großbritannien, ganz Italien, oder Preußen. Es nähme den siebenten Rang in Europa ein. Trennt man davon noch die Moldau und Wallachei, deren Umfang einen Quadratinhalt von 3,905 Lieus hat, so wird seine Oberfläche auf 11626 ☐Lieues herabgebracht, welches etwa die Größe von Ungarn und beinahe die von Großbritannien ist.

Aber in dieser Berechnung haben wir alle jene Landschaften, die einst das alte Griechenland ausmachten, von der Türkei getrennt, obwohl es nicht wahrscheinlich ist, daß – wenigsten für den Augenblick – ihre Emancipation allgemein seyn werde. Man kann annehmen, daß das ottomanische Reich noch lange Zeit das alte Epirus, welches das große Paschalik von Scutari bildet, und Macedonien mit Thessalien, welche von den Gouvernements von Salonichi und Janina abhängen, behalten wird. Diese Provinzen, die ungefähr 4,464 ☐Lieues begreifen, würden der europäischen Türkei selbst nach dem Verluste von dem eigentlichen Griechenland und Morea noch eine Ausdehnung von 20,593 ☐Lieues geben: ein Gebietsumfang, der dem ottomanischen Reiche unter den Staaten Europas seinen Rang unmittelbar nach Frankreich und vor Spanien, Preußen und Großbritannien einräumte.

Wir werden in einem anderen Artikel versuchen, die Einwohnerzahl von allen Theilen der Türkei und die numerischen Verhältnisse zwischen der Bevölkerung und der Gebietsausdehnung derselben fest zu setzen. Diese Angaben werden uns zu einer Beurtheilung der Vertheidigungshülfsmittel führen, welche das einst so mächtige Reich der Osmanlis noch in dem Augenblicke seines Sturzes besitzt.


  1. Le Globe 14 Mai.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_630.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)