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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 153. 1 Juny 1828.

Die Landes von Bordeaux.

Revue Trimestrielle

Von allen den Unglücksfällen, die Frankreich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts zu Boden gebeugt haben, hat keiner es schwerer getroffen, als das durch Napoleon eingeführte, oder wenigstens auf festeren Grundlagen aufgeführte Centralisationssystem. Seit dieser Zeit ist, außerhalb der Hauptstadt, beinahe alles intellectuelle Leben, alle geistige Entwicklung verschwunden; die Dorfgemeinden, die Städte, die Provinzen sind tieferer Knechtschaft unterworfen, als selbst unter den römischen Kaisern; als Corporationen sind sie aller Lebensthätigkeit beraubt, sie können keinen Gedanken mehr ausdrücken, keinen Wunsch mehr äußern. In Paris ist es, wo über die Bedürfnisse von ganz Frankreich, so wie über die Mittel zur Befriedigung derselben abgestimmt wird; in Paris ist es, wo man für mehr als dreißig Millionen über ein unermeßliches Gebiet verbreiteter Individuen denkt, urtheilt und entscheidet; in Paris ist es, wo man die kleine Anzahl von Individuen, denen ausschließlich ein geringer Theil der politischen Rechte anvertraut worden ist, belehrt, welches die Menschen sind, die man zu Gesetzgebern machen muß; endlich das, was man in Paris sieht, ist es, wornach die Schriftsteller das beurtheilen, was in den Departemens zu finden ist, die Erscheinungen von Paris sind es, wornach sie die französische Nation für die civilisirteste der Welt erklären.

In England (?), den Niederlanden, einem großen Theil von Deutschland, der Schweiz und selbst von Italien ist die Civilisation auf eine ziemlich gleichmäßige Weise über die verschiedenen Gebietstheile verbreitet. Anders ist es in Frankreich; hier sehen wir auf einem einzelnen Punct eine Civilisation, die weiter fortgeschritten ist, als in irgend einem Lande der Welt; in einem großen Theile des Landes dagegen finden wir die Sitten und Gewohnheiten der Barbaren. Nicht daß ein Theil der Bevölkerung größere Fähigkeit besitze, Fortschritte in seiner Ausbildung zu machen, als alle anderen; aber die Staatsgewalt, die sich der Leitung aller Angelegenheiten bemächtigt hat, ist gezwungen, sich mit dem zu beschäftigen, was in ihrer unmittelbaren Nähe vorgeht und worüber sie nach dem Augenschein urtheilen kann; während sie die entfernteren Bedürfnisse entweder ganz vergißt, oder wenn sie an dieselben denkt, der zu ihrer Beurtheilung nothwendigen Sachkenntniß entbehrt.

Frankreich kann als eine kleine Nation von sieben oder achtmal hundertausend Individuen betrachtet werden, die auf ihre Regierung keinen andern Einfluß hat, als den der öffentlichen Meinung oder ihrer Journale, und welcher dagegen dreißig Millionen Unterthanen angehören, deren Benutzung, so wie den daraus gezogenen Gewinn, sie einigen Ministern und einem Heere von Beamten überläßt. In Hinsicht auf Künste und Wissenschaften, Bildung und Feinheit der Sitten ist diese kleine Nation unbestreitbar die erste der Welt, sie übt auf die Civilisation des menschlichen Geschlechtes einen sehr ausgebreiteten Einfluß; aber in der Wagschale der Politik ist sie auf ihre numerische Bedeutung zurückgeführt worden und hat wenig mehr Gewicht, als ein König von Sardinien oder ein Großherzog von Baden (?). Sie hat mehrere Male versucht, Colonien in fernen Ländern, in Africa, Asien und America anzulegen; aber sie hat mit diesen Bemühungen selten etwas ausgerichtet; oder wenn es ihr gelungen war, auf diesem Wege einige Vortheile zu erringen, wurden ihr sogleich die Früchte derselben entrissen. Ihre Reisenden haben mehr Entdeckungen auf der Erdkugel gemacht, als die einer andern Nation; aber sie hat niemals den geringsten Nutzen davon gezogen. Andere Völker haben sich in den Ländern niedergelassen, von deren Existenz und natürlichen Beschaffenheit sie zuerst durch sie unterrichtet worden waren.

Ihre Thätigkeit hat indessen nicht nachgelassen; ihr Unternehmungsgeist, statt zu erschlaffen, scheint vielmehr durch alle ihre Unfälle nur neue Energie gewonnen zu haben. Es handelt sich daher nur darum, ein Ziel für ihre Thätigkeit zu finden und ihr die Mittel anzugeben, wodurch sie ihr Talent und ihre Reichthümer nützlich anzuwenden vermöge. Dieß scheint schwer, so lange man seine Blicke nur in entfernte Regionen richtet; aber wenn man in der nächsten Nachbarschaft um sich schaut, so giebt es hier noch genug Länder zu entdecken, Menschen zu civilisiren und ausgedehnte Wüsten zu bevölkern und anzubauen. Man braucht, um diesen Zweck zu erreichen, sich weder in das Innere von Africa zu begraben, noch in die Wälder von America, oder in die Hochebenen des inneren Asiens einzudringen; man darf nur die Post nehmen und sich einige Lieues über Bordeaux hinauswagen.

Die Landes von Bordeaux, gewöhnlich auch die Landes der Gascogne genannt, werden in zwei Abtheilungen oder Arten des Bodens getheilt, von denen die eine den Namen des Ackerbaulandes (pays de culture), die andere

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_635.jpg&oldid=- (Version vom 23.9.2023)