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Das Ausland. 1,2.1828

hatte nach dem Vertrage von Carlowitz kaum die Waffen niedergelegt, als der Czar den kühnen Entwurf faßte, das ottomanische Reich anzugreifen. Er bekam Lust nach jenem Gebiete, wo die von Türken gedrückte griechische Religion herrschte, und das auf dem geraden Wege nach Constantinopel lag.

Bessarabba, der Woiwode der Wallachei, war schon vorher in geheimer Allianz mit Oesterreich gestanden. Peter gewann ihn leicht; er versprach, den russischen Heeren Munition und Lebensmittel zu liefern, und ein Contingent von 30,000 Mann zu stellen. Die Pforte erhielt bald Kenntniß hievon; sie ächtete den Woiwoden, verschob aber seine Bestrafung. Die Türkei war damals eine der furchtbarsten Militärmächte Europa’s. Auf die Nachricht eines Einfalls, stellte sich der Großherr an die Spitze von 200,000 Mann, und zog gegen die Fürstenthümer. Der Czar rückte (1711) in die Moldau, und machte in Jassy Halt, um die versprochene Hülfsarmee aus der Wallachei zu erwarten. Indessen lagerten sich die Türken an den Ufern der Donau. Bessarabba, von Furcht befallen, brach sein Versprechen, und setzte dadurch Peter den Großen in die schwierigste Lage seines Lebens. Bald sah er sich von allen Seiten eingeschlossen und genöthigt, um seinen Rückzug zu unterhandeln. Die Großmuth oder die Schwäche des Sultans ließ die schönste Gelegenheit vorüber, die russische Macht in der Wiege zu vernichten.

Die Entwickelung der Geschichte des unbeständigen Woiwoden bietet ein charakteristisches Bild der ottomanischen Politik dar. Um den Grimm des Sultans zu besänftigen, hatte er bedeutende Geldsummen nach Constantinopel gesandt, die aber blos den Erfolg hatten, daß sie die Pforte auch nach seinen übrigen Schätzen lüstern machten. Im J. 1714, in der Charwoche, kam ein Capidschi-Baschi nach Bucharest, schrieb dem Fürsten, daß er sich in eine der Festungen des Reichs begebe, und kaum Zeit habe, ihn in der Frühe des andern Morgens zu besuchen. Dieß war ein Besuch des Todes. Der Capidschi-Baschi tritt in den Audienzsaal und wirft, in dem Augenblick als der Fürst sich erhebt, um ihn zu empfangen, einen schwarzen Schawl über seine Schultern, das Zeichen der Absetzung der großen Würdeträger des Reichs. Sein Schatz, sein ganzes Vermögen ward confiscirt; er selbst mit seiner Familie nach Constantinopel gebracht, und in die sieben Thürme geworfen. Die weggenommenen Schätze aber entsprachen nicht den Erwartungen des Sultans: um das Geheimniß der etwa verborgenen ihm abzupressen, wurden die die vier Söhne drei Tage nacheinander vor den Augen des Vaters gefoltert. Hierauf gab der Sultan Befehl, sie zu enthaupten. Man führte sie in einen der Höfe des Serails. Auf goldenen Polstern mit gekreuzten Beinen saß der Sultan, umgeben von seinen Offizieren, und trank in langen Zügen die langersehnte Rache. Ein Offizier las das Urtheil, angefüllt mit Klagen, die man längst von der Zeit verwischt glaubte, die aber der Türke, der nichts vergißt und nichts verzeiht, sorgfältig bis zum Tage der Strafe aufbewahrt hatte. Der Vater wird nun vorgeführt. Er sieht seine vier Söhne, einen nach dem andern, unter dem Beile des Henkers fallen – er selbst ist der letzte. Ihre Köpfe werden auf Piken gesteckt, ihre Körper ins Meer geworfen. Von der ganzen Familie lebt nur noch ein Abkömmling des Eidams des Woiwoden, noch immer der reichste Bojar der Wallachei.

Die stets wachsende Schwäche des ottomanischen Reichs kehrte die russischen Waffen aufs neue gegen dasselbe, und der Vertrag von Kainardgi (1775) der, wie wir bereits früher anführten, dem Cabinette von St. Petersburg ein Interventionsrecht bei der Ernennung der Hospodare gab, verlieh ihm eben damit das Recht, der Türkei, so oft es wollte, den Krieg zu erklären [1]. Nicht ohne Bedeutung ist es, daß die griechische Insurrection im Schoose dieser Provinzen ihren Ursprung nahm.

  1. Zur Geschichte der Entwickelung der innern Verhältnisse der Fürstenthümer enthält das neueste Werk über diesen Gegenstand, von Jakovaki Rizos, (früher Groß-Postelnik des Fürsten Caradza, gegenwärtig in der Umgebung des Grafen Capo d’Istrias), folgende Bemerkungen, die hier zur Ergänzung eine Stelle finden mögen:
    Im Jahr 1716 ward der Pfortendolmetscher Nicolaus Maurocordato zum Hospodar ernannt, der erste Grieche, der zu dieser Würde gelangte. Die Moldau und Wallachei waren in tiefster Finsterniß versunken – keine Erziehung, kein Handel, keine Industrie, keine Spur der Civilisation. Neun Zehntheile des Bodens lagen öde. Man kannte die ersten Elemente des Feldbaues nicht. Die griechischen Hospodare civilisirten die beiden Fürstenthümer. Nicolaus Maurocordato gründete in der Wallachei eine Druckerei und eine öffentliche Schule, in der man das Slavische, das Altgriechische und Latein lehrte. Sein Bruder Constantin Maurocordato war der Wohlthäter der wallachischen Bauern; er befreite sie von der drückendsten Knechtschaft, und führte in dem Lande den Anbau des türkischen Waitzens ein, der später ihre Haupt-, ja fast ihre einzige Nahrung wurde. Die nachfolgenden Hospodare ließen im Dialekte des Landes die Bibel übersetzen, die heiligen Evangelien, die Psalmen, die Liturgie und alles was zum Ritual der griechischen Kirche gehört. Unter dem Hospodar Alexander Ypsilanti schrieb ein eingeborner Bojar der Wallachei, Tannaquitza Vakaresky, eine Grammatik, und regelte das Patois seines Landes. (Das Blackwoods Magazine schreibt, wie wir anführten, dieses Verdienst Maurocordato zu.) Die griechischen Hospodare Alexander Ypsilanti, Gregorius Ghika, Carl Kallimachi, und Johann Caradza wurden die Gesetzgeber der Fürstenthümer. Diese folgen nach den Gesetzbüchern, welche jene Fürsten drucken ließen, und welche, nach Justinians Codex redigirt, auch die nicht geschriebenen Gewohnheitsrechte einschließen, welche früher Gesetzeskraft hatten, obgleich sie ungewiß und schwankend waren, willkürlich ausgelegt wurden, und sich oft widersprachen. Trotz der durch den Vertrag von Jassy garantirten Bestimmung, wornach die Regierung eines Hospodars sieben Jahre dauern sollte, wurden Gregorius Ghika und Constantin Chantzery in vollem Frieden heimlich ermordet, Maurogeny und Alexander Ypsilanti enthauptet, Nicolaus Caradza, Constantin Morusi, Alexander Maurocordato, Ttleko Sutzo und Alexander Morusi willkürlich abgesetzt. Außerdem besaß das ottomannische Ministerium immer Mittel, unter der Hand durch Drohungen die Hospodare zu zwingen, selbst abzudanken. So sah sich Johann Caradza, von Halet, Mahmuds Günstling, verfolgt, genöthigt, förmlich seine Entlassung zu nehmen und sich zu flüchten um dem Tode zu entgehen ....


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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_637.jpg&oldid=- (Version vom 23.9.2023)