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Das Ausland. 1,2.1828

Der Vertrag von Kainardgi, ein Resultat des russischen Uebergewichts, ward von Catharina dictirt, in deren ehrgeiziger Seele der Name Constantinopel mit unauslöschlichen Zügen stand. Nie gab sie das Recht auf, in der Verwaltung der Fürstenthümer zu interveniren, welches ihr den doppelten Vortheil sicherte, während des Friedens sich die Zuneigung der Einwohner zu erhalten, indem sie sie gegen die Unterdrückung der Pforte in Schutz nahm, und doch zugleich einen Vorwand zum Kriege zu haben. Um dieses eventuelle Recht zum System zu erheben, verlangte Catharina die Einsetzung eines russischen Consuls, zum Schutz der Kaufleute dieser und ihrer Nation. Die Pforte konnte die Forderung nicht zurückweisen, und bewilligte sie endlich mit Widerstreben.

Oesterreich erlangte später die nämliche Gunst, benutzte sie aber blos im Interesse seines Handels. Das republikanische Frankreich nahm denselben Vortheil in Anspruch und seine Consuln beschäftigen sich, wie alle seine Agenten im Auslande, mehr mit politischen Intriguen, als mit ihren offiziellen Functionen. Im J. 1802 ernannte auch die brittische Regierung einen General-Consul in Bucharest, der vorzüglich damit beauftragt war, die Mittheilungen zwischen England und der Türkei zu beschützen. Seine Mission hörte beim Frieden von Tilsit auf; 1813 aber ward ein neuer Consul ernannt, und mit jeder zur Sicherheit des Handels nöthigen Macht bekleidet.

Bei dem gegenwärtigen Stande der europäischen Politik möchte die Entscheidung äußerst schwer seyn, in welchen Händen der Besitz der Fürstenthümer am günstigsten für das Gleichgewicht der Mächte wäre. Ihre Besetzung durch Rußland würde das ottomanische Reich auf seiner ganzen Nordgrenze öffnen. Auch Oesterreichs nordwestliche Grenze stände dieser Macht offen, und seine Verbindungen mit der Türkei würden bedeutend verrückt. Bliebe Rußland auch blos an den Ufern der Donau stehen, so würde dieß doch nur so lange geschehen, bis es in den neuen Besitzungen neue Kräfte gesammelt hätte, um mit diesen den alten Plan um so sicherer zur Reife zu bringen, falls nicht Griechenland frei wird und so erstarkt, daß es in seiner aufblühenden Freiheit gegen das Vordringen jener Macht eine festere Mauer bildet, als verödete Länder, halbverfallene Festungen, Fanatismus und Barbarei.

    Von allen Uebeln aber, welche auf den beiden Fürstenthümern lasteten und noch auf ihnen lasten, ist das drückendste jener Ueberrest des Feudalrechts, den auch Constantin Maurocordato nicht auszurotten im Stande war, nämlich die unentgeldlichen Frohnen, welche die Bauern den Gutsherren leisten müssen. Eigentlich sollten die Frohnen nur eilf Tage im Jahre betragen, aber die Gutsherren treiben damit ungeheuern Mißbrauch. Diese eilf Tage werden zu vierzig, fünfzig, ja noch mehr, so daß die Bauern keine Zeit zu Besorgung ihrer eigenen Felder übrig behalten. Oft suchten die Hospodare diese Mißbräuche abzustellen, aber die Gutsherren wußten durch tausend Ränke den Bauern Contracte abzunöthigen, worin sie sich zu jenen vermehrten Frohnen verpflichteten. Außerdem bestehen noch eine Menge von Privilegien, kraft deren der Adel, die Kirche etc. mehr oder minder große Immunitäten besitzen, während auf die Landbauern das ganze Gewicht der Abgaben fällt.... Die türkische Regierung, so wie die Griechen, Wallachen und Moldauer gaben nur den Hospodaren den Titel Fürst, ihre Söhne nannte man Bey-Zades, Söhne des Fürsten; diese Benennung ging aber nie auf die Enkel über. So vorübergehend und schwankend die Herrschaft der Hospodare war, so dienten doch die von ihnen verwalteten Provinzen den verfolgten Griechen des ganzen übrigen Reichs zum Zufluchtsort. Eine Menge Macedonier, Thracier, Epiroten, Thessalier trieben Handwerke und Gewerbe in diesen Provinzen; andere standen in Handelsverbindungen mit Deutschland, namentlich mit Leipzig; der größte Theil aber bereicherte sich durch Ackerbau und Industrie, indem sie als eine Art Pächter die fruchtbaren Güter der eingebornen Bojaren cultivirten. Die Lyceen von Jassy und Bucharest waren gut organisirt: man lehrte dort Griechisch, Lateinisch, Deutsch, Französisch, Naturwissenschaften und Philosophie. Die Buchdruckerei von Jassy war gut bestellt. In den letzten Jahren hatte man in Bucharest ein Theater errichtet, auf dem theils französische Tragödien und Komödien, theils ins Griechische übersetzte Stücke aufgeführt wurden. Ausländer, von jeder Nation, jeder Religion, fanden die freundlichste Aufnahme. Das Verdienst ward geachtet; ein industriöser, mit einigem Talent ausgerüsteter Mann konnte des Erfolgs gewiß seyn. Die griechische Sprache war fast allgemein angenommen; mit Ausnahme der niedern Volksklassen verstanden sie alle Einwohner; die vornehmere Welt vornehmlich sprach das Griechische mit großer Reinheit; einige Bojaren zeichneten sich selbst durch Schriften in altgriechischer Sprache aus. In der Wallachei durften Brankovan, Nestor, Kimpiniani, Philipesko und Golesko, in der Moldau die Sturdza, Paskan, Kisnovan, Balsonk und Draguitzi rücksichtlich ihrer Kenntniß der altgriechischen Literatur, hinter den gelehrtesten Griechen nicht zurückstehen. Die Frauen mehrerer Bojaren waren griechische Fürstinnen oder Edle; so wie auch mehrere Griechen sich an Töchter von Bojaren verheiratheten. Diese Vermischung policirte die höheren Classen der Fürstenthümer, und führte die Sitten, die Gewohnheiten und die Sprache Griechenlands ein. Auf der andern Seite brachten die russischen und österreichischen Heere europäische Sitten, Luxus und industrielle Kunst ins Land. Die ganze höhere Welt verstand französisch und deutsch. Tanz und Musik wurden Gegenstände der Erziehung. Bei den reichsten Bojaren sah man deutsche und französische Lehrerinnen. Indessen ging auf Frivolität der feineren Bildung, Sittenlosigkeit der Urbanität zur Seite.

    Hist mod. de la Grèce. Genève 1828.



Berichtigung.

Im vorgestrigen Blatte haben sich S. 604, wo von dem Gebietsumfange Rußlands und der Türkei die Rede ist, einige Versehen eingeschlichen, welche dem französichen Original zur Last fallen. Die dort angegebene Größe des russischen Reiches ist nur die Angabe des europäischen Rußlands. In geographischen ☐Meilen stellt das[WS 1] Verhältniß sich so:

Türkei in Europa, Asien und Afrika, mit den Inseln gleich 41,400 ☐Meilen.
Rußland in Europa, Asien und Amerika mit den neuesten
Erwerbungen, 1818 in Asien gegen China
und neulich durch den Frieden mit Persien 376,000 ☐Meilen.

Es ist also die Türkei nicht etwas mehr als halb so groß, wie Rußland, sondern umfaßt nur etwa ein Neuntheil von der Größe des russischen Reichs. Da 15 geographische Meilen gleich 25 Lieues sind, betragen 9 geographische Quadratmeilen 25 Quadratlieues.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: des
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_638.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)