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kam mir ganz unerwartet. Ein stämmiger Kerl von einem Firasch (Hausknecht) erschien, um das Urtheil zu vollziehen; er hatte ein breites stumpfes Messer in der Hand, womit er die Operation zu machen gedachte; ich bot ihm zwanzig Tomans, wenn er sich eines Federmessers bedienen würde, das ich ihm zeigte. Diese Bitte schlug er mir in der gröbsten Manier ab, nannte mich einen grausamen Bösweicht, und behauptete, daß ich seinen Bruder ermordet, und er sich das gegenwärtige Geschäft blos um seine Rache zu befriedigen, ausgebeten hätte, wobei er nur bedauere, mich nicht todtschlagen zu dürfen. Da ich nun sah, daß von diesem Burschen nichts in Gutem zu erlangen war, so that ich, als ob ich mich darein ergebe, und legte mich freiwillig auf den Rücken. Er schien es ganz zufrieden, streifte seine Aermel hinauf, setzte ein Knie auf meine Brust, schwang sein Messer, und war im Begriff, sein blutiges Werk in aller Gemächlichkeit zu vollbringen, aber ich hätte müssen ein recht unschuldiges dummes Schaf seyn, wenn es ihm so leicht geworden wäre. Ich merkte den Augenblick, wo er nicht auf seiner Hut war, machte ein Bein frei, und gab ihm dergestalt einen Stoß auf die Herzgrube, daß ihr hättet lachen müssen, wenn ihr gesehen hättet, wie er die Füße über dem Kopf zusammenschlug; (er begleitete seine Erzählung mit einer entsprechenden Bewegung des Fußes, und lachte selbst herzlich). Ich sprang auf; eben so mein Feind; wir hatten einen kurzen Kampf – allein er war der stärkere; ich unterlag und so gelang es ihm, meine Augen herauszunehmen.

„Den Schmerz – fuhr er fort – fühlte ich im Augenblick, da ich von dem Ringen noch erhitzt war, weniger; die Wunden heilten bald, die Kadschirs behaupteten die Oberhand im Reich, und ich wurde belohnt. Als Gouverneur dieser Stadt und Provinz lebe ich in einem Ueberfluß und meine Lage ist ruhiger und angenehmer, als sie hier zu Lande die, welche sehen, je haben können. Findet sich ein Ausfall in den Einkünften, oder sonst eine wirkliche oder vorgeschützte Ursache, weßwegen ein anderer Gouverneur abgesetzt, am Leib oder am Leben gestraft würde, so sagt der König: Laßt’s gut seyn, s’ist der arme blinde Riza-Kuli. Ihr seht, Eltschi, schloß der alte Khan, daß ich nicht Ursache habe mich zu beklagen, da mich der Verlust meiner zwei Augen in der That besser vor Unglück schützt, als wenn ich zwanzig der hellsten in Persien besäße.“

Mirza-Aga-Mir, unser persischer Secretär, bemerkte, daß der Trostgrund des Khans unter der gegenwärtigen Regierung allerdings sehr statthaft sey. „Ich kann meinen Satz, sagte er, nicht treffender erläutern, als wenn ich die Antwort anführe, die neulich ein Hofmann dem Prinz-Regenten zu Schiras gegeben hat. Der Prinz fragte nehmlich einen seiner Räthe, welche Strafe für einen boshaften Missethäter, der vor ihn gebracht worden war, groß genug wäre? Mache ihn, erwiederte jener, zu einem Finanzverwalter: es kann kein Verbrechen geben, das nicht bei einer solchen Anstellung bald seine gerechte Strafe finden wird.“ –

Die Entfernung Doscht-i-Erdschon’s ist nicht beträchtlich, seine Lage aber viel höher. So zufrieden wir auch mit Kasserun waren, so stellte sich uns doch die Natur hier von einer ganz neuen Seite dar. Es ist ein kleines aber anmuthiges Thal, tief im Gebirg, dessen schroffen Seiten hundert Bäche entrieselten, die einem, in der Mitte gelegenen See zuströmen. Die Schönheit dieser Wasser, von denen einige in einer Reihe von Cascaden über die Rebenhügel hinabrauschen; der See selbst, aus dessen hellen Fluthen das Bild der überhängenden Berge zurück strahlt; seine mit fruchtbaren Gefilden reichgesäumten Ufer; die Pracht der Rosen und Hyacinthen, und der in wilder üppiger Fülle prangenden vielgestaltigen Blumen; die mit Wohlgerüchen durchwürzte Luft, kurz die ganze Herrlichkeit der Schöpfung, die mit ihrem Zauber auf alle unsre Sinne wirkte, versetzte uns in einen Taumel der Lust und in ein Meer von Wonne, während die Perser ohne Unterlaß ausriefen: das ist Persien! – das ist Persien! (Iran hemin äst! – Iran hemin äst!)

Ich wurde auf dem Weg durch die Begegnung meines alten Freundes Mahommed-Riza-Khan-Beiat erfreut, der von Schiras kam, um dem Eltschi seinen Gruß zu bringen. Er gallopirte wie ein Knabe auf mich zu, und rief: „Willkommen.“ Ich traute meinen Augen nicht, als ich ihn jünger und munterer fand, denn vor zehn Jahren, wo ich ihn als einen acht und sechziger verließ, der jeden Tag eine Quantität Opium zu sich nahm, womit man, wie unser Doctor meinte, dreißig Personen die nicht daran gewöhnt waren, hätte vergiften können. Ich und der Doctor hatten uns viele Mühe gegeben, den alten Ehrenmann von seiner üblen Gewohnheit abzubringen. Er erkundigte sich deswegen auch gleich nach jenem und sagte lächelnd: „es thut mir leid, daß er nicht hier ist; ich wollte ihm zeigen, daß die christlichen Doctoren, wenn sie auch Wunder thun wie ihr Messias, der Lahme und Blinde heilte, doch nicht immer gute Propheten sind. Er sagte mir ich müßte sterben, wenn ich meine Portion Opium nicht verringere; nun habe ich sie indessen vervierfacht, und ich bin, obgleich nahe an achtzig, noch so jung und so thätig, als einer!“ mit diesen Worten trieb er sein Pferd an, drehte sich im Ring herum, und schoß, wie die alten Parther mit dem Bogen und die jetzigen Perser mit dem Luntenschloß, in der entgegengesetzten Richtung, in der er daher gallopirt war, eine Kugel nach einem Ziel ab. Darauf ritt er auf mich zu, strich seinen Bart, der gut gefärbt war, daß man kein graues Härchen entdecken konnte, langte eine Büchse aus der Tasche, nahm eine ganze Handvoll Opium heraus, und schob sie wirklich den Hals hinab, indem er wiederholte; „ich wollte, der Doctor wäre hier.“

Ich ritt den Rest des Wegs mit Mahommed-Riza allein. Sein Vater Salah-Khan war einer der Omrahs am Hofe des gewaltigen Nadir-Schah, als dieser Eroberer ermordet wurde. Bei diesem Ereigniß warfen sich in jeder Provinz Könige auf. Salah-Khan trat auch in die Schranken. Er bemächtigte sich der Stadt Schiras, deren Festungswerke er erweiterte und verstärkte; aber sein

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_640.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)