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Das Ausland. 1,2.1828

von dem Elend unzertrennlich sind. Die Ungesundheit des Wassers, die Ausdünstungen der Moräste, eine schlechte Nahrung, unzulängliche Kleidung, schlechte Wohnungen, Unreinlichkeit und Ausschweifungen haben in diesem Lande die ursprüngliche Gesundheit des Menschen untergraben. Die Gattung ist hier so entartet, daß ein Canton im Laufe von fünf Jahren nicht ein einziges Subject für die Conscription hätte darbieten können, das nicht irgend eines Fehlers wegen für untauglich erklärt worden wäre.

Von der Mündung des Adour bis zu der Mündung der Gironde zählt man gegenwärtig nur den einzigen Hafen von Teste; wenn wir indessen auf die Zeugnisse der Geschichte zurückgehen, so finden wir, daß in früheren Zeiten auf dieser Küste fünf Häfen bestanden, die beträchtlichen Flotten zum Zufluchtsorte dienten. Es waren die Häfen von Cap Breton, Vieux-Boucau, Contis, Mimizan und Lacanau. Die Wasser, die gegenwärtig durch die Dünen zurück gehalten werden, hatten damals ohne Zweifel freien Abzug in das Meer, und das Land war daher trocken und gesund. Man findet in dem Itinerarium des Antoninus die Angabe einer römischen Straße, die von Dax nach Uza ging, die Gegend durchschnitt, wo jetzt der See von Aurellan ist und bei Belin über die Leyre führte. Es ist daher kein Zweifel, daß das Littorale damals nicht ohne Bedeutung war.

Die weiten Flächen, die zwischen den Wasserrinnen liegen und deren Oberfläche auf 600,000 Hectaren geschätzt wird, sind nicht immer mit Farnkräutern, Heide und Ginster bedeckt gewesen. Man findet auf denselben zuweilen ausgedehnte Strecken, die mit jungen Eichenschößen bedeckt sind. Die Pflanzen bekleiden den Boden indessen nur einen kurzen Theil des Jahres; um einen Theil des Landes in Wald zu verwandeln, müßte man dieses vor dem vernichtenden Zahne der Heerden schützen.

Daran, daß die Gegenden sich früher eines gewissen Grades von Wohlstand erfreuten, ist, wie wir schon erwähnt, kein Zweifel. Der erste Grund ihres Verfalles möchte vielleicht in denselben Ursachen zu suchen seyn, welche die Zerstörung der Civilisation in so vielen andern Gegenden Europas herbeiführten, in der römischen Eroberung und darauf in den Verwüstungen der Barbaren. Dieß auszumitteln ist indessen gegenwärtig nicht unsere Aufgabe; wir begnügen uns, die Ursachen kennen zu lernen, welche das Land in dem Zustande zurückhalten, in welchem es sich befindet.

Wenn man nur oberflächlich über den Zustand dieses Landes urtheilt, so nimmt man nur zwei Hauptursachen seiner Barbarei an: die natürliche Beschaffenheit und Lage desselben, und die alten Sitten und Gewohnheiten seiner Bevölkerung. Aber der Boden, den die Holländer dem Meere abgerungen haben, war weder fruchtbarer, noch günstiger gelegen, als diese Landes; die Wüsten von Africa, America und Neu-Holland, welche die Europäer angebaut haben, waren eben so undankbar, und schwerer der wilden Natur abzugewinnen, als es die Flächen und Moräste zwischen der Gironde und dem Adour sind. Die Gewohnheiten und Vorurtheile der Bevölkerung des Landes sind weder stärker, noch tiefer eingewurzelt, als es die aller andern Völker waren, die zu derselben Stufe der Bildung gelangt sind. Die Nationen, welche gegenwärtig am weitesten vorgerückt sind, hatten Vorältern, die weiter zurück waren, als es die Einwohner der Landes sind, und die dennoch ihre Vorurtheile und ihre Gewohnheiten überwanden.

Die Hauptursache, welche dieses Land in dem Zustande zurückhält, in welchem wir es finden, ist die Knechtschaft, die ihm mit allen Provinzen von Frankreich gemein ist. Wenn eine Nation einen sehr hohen Grad der geistigen Entwickelung erreicht hat, so kann sie sich, obwohl aller Freiheit beraubt, lange Zeit auf dem Puncte erhalten, zu dem sie gekommen ist. Ja es ist nicht unmöglich, daß die Kraft der Civilisation unter gewissen Umständen die Macht, die sie in der Unterdrückung hält, überwältigt. Wenn dagegen ein Volk bis zu dem Puncte herabgesunken ist, auf welchem wir die Bewohner der Landes finden, so ist es unmöglich, daß es ohne einen gewissen Grad von Unabhängigkeit und Freiheit sich wieder erhebe.

Das Plateau der Landes, welches unter dem Namen des Pays de Parcours begriffen wird, ist nicht in abgesonderte Besitzungen getheilt, wie das Pays de Culture. Das Eigenthum desselben gehört vielmehr im Allgemeinen den Dorfgemeinden, die es seit undenklichen Zeiten besessen oder von den Baronen gegen einen jährlichen Zins erhalten haben, der durch die Revolution verschwunden ist. Eine geringe Anzahl von Eigenthümern haben einzelne Theile ausschließlich durch Verjährung oder andere Rechtstitel erworben; aber selbst diese Besitzungen sind der allgemeinen Nutzung oder Waide unterworfen, wenn sie nicht durch Gräben oder Hecken eingezäunt sind.

Die Bevölkerung des ganzen Landes ist, wie wir gesehen haben, in zwei Classen getheilt, von denen die eine die Grundeigenthümer in sich begreift, die eines gewissen Wohlstandes genießen, die andere die Bauern oder Pächter, die eigentlich nichts sind, als Tagelöhner und in dem äußersten Elende leben. Das Plateau des Landes gehört allen gemeinschaftlich; da es aber nur für die wesentlichen Nutzen haben kann, die Heerden besitzen, so ist es die Classe der Eigenthümer allein, die von demselben Vortheil zieht. Eine Theilung würde den Armen wenig helfen; theils weil sie keine Heerden haben, um sie auf dem ihnen zufallenden Antheil waiden zu lassen, theils weil es ihnen an Geld fehlt, um die Moräste trocken zu legen und in fruchtbares Land verwandeln zu können. Die einzigen Vortheile, welche die Einwohner von diesen ausgedehnten Ländereien ziehen, ist daher, die Farn- und Heidekräuter zu schneiden und als Brennmaterial zu benutzen, sie streckenweise in Flammen zu setzen und die dadurch gewonnene Asche und fruchtbare Erde einzusammeln, in allen Richtungen Gräben zu ziehen und einige Stücke Landes urbar zu machen, die sie aber nicht vor den Verwüstungen des Viehes schützen können, und endlich in allen Jahreszeiten das Vieh darauf waiden zu lassen.

(Schluß folgt.)
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_642.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2023)