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der Kräfte seiner Bewohner erhalten; die Gegenstände, welche ihnen gemeinschaftlich angehören, wie Kirchen, Schulen, Wege, Brunnen, Canäle, können sich verschlechtern oder zu Grunde gehen; aber das individuelle Eigenthum wenigstens kann bestehen, weil die Bemühungen des Einzelnen lange Zeit hinreichend sind, es vor dem Verfall zu sichern. Anders dagegen ist es in Gegenden, wo der Mensch ohne Unterlaß mit den Elementen zu kämpfen hat, um sich der Vernichtung zu entziehen; in einem solchen Lande müssen sie ihre Kräfte vereinigen könne, d. h. frei seyn, oder sie kommen um. Vielleicht ist es diese Nothwendigkeit, der die Schweiz, die Niederlande zum großen Theil die Freiheit verdanken, deren sie sich erfreuen.

Von allen den Maßregeln, die ergriffen werden müßten, um die Landes der Cultur wieder zu gewinnen, ist keine einzige von der Art, daß sie durch individuelle Anstrengungen vollzogen werden könnte; ebenso wenig aber ist dieß von dem Eifer der Menschen zu erwarten, die man angestellt hat, um jede gemeinschaftliche Anstrengung zu verhindern. Diese Aufseher, die man Maires, Präfecten oder Gendarmen nennt, haben andere Pflichten zu erfüllen, als Moräste trocken zu legen, oder das Fortschreiten der Dünen aufzuhalten. Sie müssen die Einwohner beobachten und ihren Oberbehörden von den Gesinnungen derselben Rechenschaft ablegen, die Kaufmannsläden und Wirthshäuser zu der vorgeschriebenen Zeit schließen, und verhindern, daß man am Sonntage arbeitet oder tanzt; und vor allem in die Deputirtenkammer Menschen schicken, welche nicht abgeneigt sind, ihren Theil von dem Budget zu nehmen. Ein anderer Grund, der jenen Beamten nicht gestattet an die angeführten Arbeiten zu denken, ist der Mangel an Geld. Als die Gemeinden aufgehoben wurden, ging das Vermögen derselben in die Hände der Agenten der Gewalt über; gegenwärtig ist dasselbe in den Landes auf nichts herabgebracht worden. In den Gemeindewäldern schlägt jedermann Holz nach Gutdünken; und wie bei den Wilden wird der schönste Baum gefällt, um einen Sparren oder einen Axtstiel zu erhalten. Die Beamten der Präfecten verpachten die Fischerei in den Seen, aber sie werden von dem Gewinn, den sie daraus ziehen, schwerlich jene Arbeiten bestreiten wollen.

Eine Maaßregel, die eben so wichtig wäre, als das Austrocknen der Moräste und das Aufhalten der Dünen, – die Aufhebung der Viehtriften, würde bei der gegenwärtigen Vereinzelung der Interessen durch den Widerstand der Eigenthümer eben so große Hindernisse finden. In ihrem gegenwärtigen Zustande ernähren die Landes nur Bienen und fünf oder sechsmal hunderttausend grobwollige Schafe. Der Werth des Wachses, welches gewonnen wird, beläuft sich auf ungefähr 300,000 Francs, der Ertrag der Heerden, außer dem Dünger, der für das Pays de Culture benutzt wird, auf etwa 600,000. Ein Ertrag von 900,000 Fr. von einem so ausgedehnten Landstriche ist allerdings etwas sehr unbedeutendes; aber er geht wenigstens unmittelbar in die Hände der Eigenthümer über und bleibt denselben gewiß. Es wäre leicht möglich, daß das Land, welches gegenwärtig nur 900,000 F. abwirft, in manchen Jahren 18 bis 20 Millionen brächte; aber diesen 18 bis 20 Millionen gingen in die Hände der Herren Maires über und die Einwohner des Landes hätten weder über die Anwendung derselben etwas zu bestimmen, noch Rechenschaft darüber zu fordern. Nun sind ohne Zweifel 20 Sous, über die man disponiren kann, mehr werth, als 20 Francs in der Tasche eines Andern.

Von allen Mitteln, ein unangebautes Land fruchtbar zu machen, ist ohne Zweifel eines der wirksamsten die Colonisation; aber wie soll man Colonien bilden in einem Lande, wo man eine Verbindung, die zu ihrem Zweck hat, die Zusammengetretenen vor ihrem Verderben zu schützen, als ein Verbrechen betrachtet? Die Europäer, die mitten in den sumpfigen Wäldern von Amerika ihre Niederlassungen gründen, haben größere natürliche Hindernisse zu überwinden, als die, welche sie in den Landes finden würden; aber dort ist es ihnen nicht verboten, ihre Mittel zu vereinigen, um ihren Wohlstand zu befördern; dort können zwanzig und dreißig Personen zusammentreten, um ein gemeinnütziges Unternehmen auszuführen, ohne daß sie die Präfecten oder Gendarmen zu fürchten hätten.

Es ist merkwürdig, daß die bedeutendsten Fortschritte, die in der Cultur der Landes gemacht worden sind, von dem Jahre 1152 bis 1450 stattfanden, d. h. zu einer Zeit, wo die Engländer dieses Land beherrschten. Um die Einwohner für sich zu gewinnen, fanden sie kein besseres Mittel, als sie aus den Banden der Knechtschaft zu befreien, die auf ihnen lastete. Auf diese Periode läßt sich die Stiftung der Communen, die Erbauung der Kirchen etc. zurückführen; wovon man die Beweise in den alten Freiheitsbriefen und Privilegien und selbst in den Namen der Ortschaften findet. Norton (Northtown), Souston (Southtown), Azur u. a. zeugen unverkennbar von englischem Ursprung. Die Revolution, welche die Communen reorganisirte und die Departementalverwaltung einführte, vernichtete die alten Privilegien, und als Bonaparte, in der Meinung, das Werk der Revolution zu zerstören, die Auflösung der Communen und Departementalbehörden aussprach, versetzte er einen großen Theil von Frankreich in einen Zustand der schlimmer war, als der, in welchem es sich im zwölften Jahrhunderte befand.

So lange ein solcher Zustand der Dinge dauert, kann man einzelne Individuen ihr Vermögen vermehren sehen; aber man wird vergebens auf ein Fortschreiten des allgemeinen Wohlstandes hoffen. Menschen, die keine gemeinschaftliche Interessen haben dürfen, und keine andere Bewegung kennen, als die, welche die Regierung ihnen gibt, sind im eigentlichsten Sinne nichts als Maschinen. Sie handeln verstandlos und willenlos, wie man sie treibt; aber sie hören auf thätig zu seyn, sobald die Behörde aufhört sie anzutreiben; und da die Behörde meist so viele verschiedenen Willensrichtungen hat, als Agenten, und diese Willensrichtungen oft nichts anders sind, als bloße Capricen, so können ihre Unternehmungen weder Einheit, noch Ausdauer haben – die unerläßlichsten Bedingungen, wenn irgend etwas in’s Werk gesetzt werden soll.

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_646.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)