Seite:Das Geheimnis der Kabine 24.pdf/27

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Dann ließ er die Hand sinken. Sein wetterbraunes, hübsches und doch so männliches Gesicht war zur Maske tiefsten Seelenschmerzes erstarrt.

„Sie sollen alles erfahren,“ sagte er leise. „Thora war mir von Anbeginn unserer Bekanntschaft ein Rätsel. In Christiania ist sie unter dem Namen „Thora mit dem Spleen“ fast – berüchtigt. Und doch – ich verliebte mich in sie, weil ich merkte, daß auch sie Gefallen an mir fand. Wir verlobten uns. Und damit begannen für mich die seelischen Martern. Heute war sie von wilder Zärtlichkeit, morgen von verletzender Kälte. Das wechselte wie Regen und Sonnenschein – grundlos, ganz plötzlich. Dieses widerspruchsvolle Verhalten machte mich sehr bald stutzig. Ich bin kein Jüngling mehr und kenne das Leben und die Menschen. Ich beobachtete Thora schärfer und gelangte so allmählich zu der Überzeugung, daß sie eine andere Liebe in ihrem Herzen trage und daß ich ihr helfen solle, diesen Anderen zu vergessen. Ich deutete dies ihr gegenüber auch an. Sie leugnete nicht, gab aber auch nichts zu, sondern umklammerte mich und flüsterte: „Rette mich, Holger, – rette mich vor mir selber!“ – Sie tat mir jetzt leid, Herr Harst, und in letzter Zeit änderte sich auch ihre Unausgeglichenheit, besserte sich. Dann sah ich sie vier Tage vor ihrer Abreise, wie sie aus dem Hauptpostamt in Christiania kam. Sie war leichenblaß und schritt wie eine Schlafwandlerin dahin. Am Hafen setzte sie sich auf eine Bank und zog einen Brief aus ihrem Handtäschchen –“

Er schwieg einen Augenblick und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

„Sie ist ja nun tot. Ich brauche nichts mehr zu verheimlichen. Ich will jedoch alle Einzelheiten fortlassen. Diese Erinnerungen sind so peinvoll für mich. – Sie zerriß den Brief, nachdem sie ihn gelesen hatte, und streute die Schnitzel ins Wasser. Ich habe vier Papierstückchen herausgefischt. Sie bewiesen mir, daß der Brief von einem Manne herrührte, der Thora mit „Du“ anredete und sie –“

„Eine Zwischenfrage,“ fiel Harald ihm ins Wort. „War der Brief in deutscher Sprache abgefaßt?“

„Ja.“

„Besitzen Sie die Schnitzel noch?“

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das Geheimnis der Kabine 24. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1922, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_der_Kabine_24.pdf/27&oldid=- (Version vom 30.6.2018)