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Walther Kabel: Das Geheimnis einer Mumie. In: Das Buch für Alle, 49. Jahrgang, Heft 27, S. 604–605

Das Geheimnis einer Mumie.
Von W. Kabel.
(Nachdruck verboten.)

Wie in Indien der Brauch bestand, daß die Witwe nach dem Tode des Gatten lebend den Scheiterhaufen besteigen mußte, um durch den Flammentod wieder mit ihrem Manne vereint zu werden, eine Sitte, die die Engländer bekanntlich nur schwer auszurotten vermochten, so galt es im alten Ägypten als Beweis der allerhöchsten Treue, wenn eine Frau sich zu Ehren des verstorbenen Gatten lebend einbalsamieren ließ. Die ägyptischen Dichter nennen diese heldenmütigen Witwen poetisch Topharbräute, Ewigkeitsbräute.

Im Gegensatz zu jener indischen Witwenverbrennung, zu der die beklagenswerten Frauen nötigenfalls von ihrer fanatischen Verwandtschaft gezwungen wurden, war die Tophareinbalsamierung durchaus freiwillig. Oft scheint sie aber nicht vorgenommen worden zu sein, denn wirklich echte Topharmumien hat man bisher nur zwei aufgefunden. Auf die Geschichte einer dritten, vermutlich gefälschten, soll später näher eingegangen werden.

Die Topharzeremonie wurde als eines der seltensten Feste mit größter Prachtentfaltung gefeiert. Die Priesterschaft geleitete die in strahlende Gewänder gekleidete Topharbraut zunächst in den Tempel, wo den Gottheiten reiche Opfer dargebracht wurden. Dann übergab man die dem Tode Geweihte den Einbalsamierern, einer besonderen Priesterkaste, die ihr Opfer in ebenso feierlichem Zuge in die unterirdischen Räume des Tempels führten, wo die Einbalsamierung erfolgte. In welcher Weise diese im einzelnen vor sich ging, weiß man nicht mehr genau. Jedenfalls aber ist sicher, daß die Topharbraut lebend unter unerhörten Qualen zur Mumie umgewandelt wurde, indem man ihrem Körper besondere Lösungen einflößte, die eine langsame Durchtränkung und Mumifizierung der der Fäulnis ausgesetzten äußeren Fleischteile zur Folge hatten. Allerdings erreichten die ägyptischen Einbalsamierer dadurch auch, daß die Topharmumien ein völlig frisches Aussehen behielten und nicht wie die übrigen mit der Zeit vertrockneten, nachdunkelten und unansehnlich wurden.

Die bekannteste dieser Topharmumien ist die des Kensingtonmuseums in London. Es soll der Leichnam einer ägyptischen Königin aus der Zeit um 2300 vor Christo sein. Bei dieser ist die Haut tatsächlich noch völlig glatt und mattgelb geblieben. Das wenig veränderte Gesicht läßt kaum vermuten, daß man nur eine Jahrtausende alte Mumie vor sich hat. Die Augen sind durch wahrhaft künstlerisch hergestellte Glasaugen ersetzt. Die Lider stehen halb offen. So erweckt diese Topharmumie den vollkommenen Eindruck einer Wachsfigur, die ein eben aus dem Schlaf erwachtes junges Weib darstellen soll. Eine zweite befindet sich im Besitze des Museums in Kairo, leider in verstümmeltem Zustande, da ein unentdeckt gebliebener Dieb ihr in einem Augenblick, in dem der betreffende Saal leer war, den linken Arm am Ellbogengelenk abschnitt und mitnahm.

Die Echtheit der dritten aber, die in der alten Gräberstadt bei Memphis entdeckt worden sein soll, wird von den meisten Gelehrten angezweifelt. Sie gehört jetzt zu der berühmten Mumiensammlung des Chikagoer Millionärs Vaarnbout. Und diese Topharmumie hat ihre besondere Geschichte.

Im Herbst 1882 wurde in Paris der Professor der Medizin Jules Bercine wegen verschiedener Operationen, die er an Kranken seines Sanatoriums gegen deren Willen vorgenommen hatte, zu zwei Jahren Kerker verurteilt. Bercine wäre nicht so glimpflich weggekommen, wenn die Richter nicht als strafmildernd berücksichtigt hätten, daß lediglich Wissensdrang ihn zu seinem gesetzwidrigen Handeln verleitet und daß er niemand dadurch ernstlichen Schaden zugefügt hatte. Allerdings wurde ihm neben der Gefängnisstrafe noch die weitere Ausübung der ärztlichen Tätigkeit für immer untersagt, und ferner mußte er allen Personen, die er ohne ihre Erlaubnis operiert hatte, ein ziemlich hochbemessenes Schmerzensgeld zahlen.

Bercine, der Junggeselle war und im sechsundvierzigsten Lebensjahre stand, hatte durch diesen Prozeß nicht nur seine Stellung, sondern auch sein gesamtes Vermögen verloren. Als sich ihm die Türen des Gefängnisses wieder öffneten, sah er sich dem größten Elend gegenüber. Die Not machte ihn zum Fälscher, vielleicht in einem der merkwürdigsten, den die Welt je gekannt hat: er fabrizierte Mumien. In dem Keller eines kleinen, abgelegenen Häuschens in der Ortschaft Vélizy dicht bei Paris richtete er sich ein ganzes Laboratorium für seine Zwecke ein. Die geeigneten Leichen, die er brauchte, kaufte er von willfährigen Angestellten der nahen Kirchhöfe. Sein Geschäftsteilhaber, der auch die nötigen Geldmittel hergab, war ein Antiquitätenhändler namens Bourget, ein ebenso gewiegter wie gewissenloser Geschäftsmann, dem es dann dank seiner Verbindungen mit ebenso dunklen Ehrenmännern in Kairo wirklich gelang, die künstlichen, in langen Stoffballen verborgenen Mumien Bercines nach Ägypten einzuschmuggeln und dort durch ebenso schlau ersonnene Lügengeschichten an Reisende, zumeist reiche Engländer und Amerikaner, als „echt ägyptische Mumien“ in schwindelnden Preisen loszuschlagen. Dieser schauerliche Handel ging vier Jahre lang vortrefflich, ohne daß die Behörden davon Wind bekamen. Dann erst sollten besondere Umstände die Entdeckung herbeiführen.

Den Nachbarn Bercines war es schon lange aufgefallen, daß sich aus dem Schornstein des Häuschens, das nur von dem bald als Sonderling verschrienen früheren Arzte bewohnt wurde, ständig ein dichter Qualm erhob, als ob dort eine Räucherei in Betrieb sei. Da aber sonst auf dem kleinen Grundstück nichts vorkam, was der Ortspolizei von Vélizy Veranlassung zum Einschreiten hätte geben können, ließ man den menschenscheuen Herrn in Ruhe, obwohl ein gewisser Argwohn gegen ihn immer wieder lebendig wurde. Wollte doch dieser oder jener bisweilen in der Nacht Personen beobachtet haben, die mit einem kleinen Handwagen die Straße entlang kamen, hinter dem morschen Holzzaun des einsamen Gehöftes verschwanden, bald darauf wieder herauskamen und eilig mit ihrem Gefährt in der Richtung nach den großen Kirchhöfen davoneilten.

Jedenfalls bewirkte dieses Gerede, mochte dahinter auch noch so wenig wirklich Verdächtiges stecken, daß das Häuschen von der gesamten Nachbarschaft neugierig beobachtet wurde. So bemerkte denn auch der Schmied Goncard, dessen Anwesen am Ostausgange von Vélizy nur zweihundert Meter von Bercines Schlupfwinkel entfernt lag, an einem Juniabend des Jahres 1889, wie ein älterer, etwas buckliger Herr, der den früheren Arzt häufiger zu besuchen pflegte, in Begleitung eines fremdländisch aussehenden jungen Mädchens in das kleine Haus eintrat. Goncard, der bis zum Einbruch der Dunkelheit auf seinem Kartoffelacker arbeitete, konnte dann weiter feststellen, daß der alte Herr das Gehöft Bercines am späten Abend allein wieder verließ. Unwillkürlich dachte der Schmied sofort an irgend ein Abenteuer[1] seines menschenscheuen Nachbars und hatte nichts Eiligeres zu tun, als seine interessante Entdeckung überall in erzählen. Aber auch dieser Zwischenfall wurde bald vergessen.

Die Einwohner von Vélizy sollten erst daran erinnert werden, als in den Pariser Zeitungen etwa zwei Monate später eine amtliche Notiz erschien, in der nach dem Verbleib einer jungen Fellachin geforscht wurde, die der Antiquitätenhändler Bourget sich angeblich als Modell für Pariser Maler aus Ägypten hatte kommen lassen, und die ihm seiner Behauptung nach sofort nach ihrer Ankunft entlaufen war. Als der Schmied Goncard diese des öfteren wiederholte Bekanntmachung las, fiel ihm,


  1. Vorlage: Abenteur
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Geheimnis einer Mumie. In: Das Buch für Alle, 49. Jahrgang, Heft 27, S. 604–605. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_einer_Mumie.pdf/2&oldid=- (Version vom 11.12.2022)