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stutziger machen mußte. So besonders die verweinten Augen der beiden Damen und ihr ängstliches Bemühen, seinen teilnehmenden Fragen auszuweichen.

Das schrille Anschlagen der Flurglocke unterbrach den Doktor in seinen Gedanken. Er stellte das Gläschen beiseite und ging selbst öffnen. Vor ihm stand Karl Wieland mit selten ernstem, sorgenvollem Gesicht. Nach kurzer Begrüßung nötigte Dreßler seinen Gast in einen der hohen, altmodischen Sessel.

„Du siehst nicht gut aus, Karl,“ meinte er teilnehmend. „Überarbeitet, wie –?“

Der blonde Riese schüttelte traurig den Kopf.

„Wenn’s das allein wäre!“ – Und, nach einer Pause: „Ich komme, um mir von Dir Rat zu holen, Dreßler, – Rat in einer sehr ernsten und – sehr sonderbaren Angelegenheit.“

Der Doktor zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.

„Du hast es ja selbst schon gemerkt,“ fuhr Wieland zögernd fort, „daß bei mir daheim nicht alles so ist wie es sein sollte, hast es uns ja auch gesagt, und wir – hm, verzeih schon, wir haben Dich da – mit einer Unwahrheit abgespeist, ja, mit einer Lüge, weil wir eben hofften, daß mein Schwiegervater inzwischen etwas von sich hören lassen würde.“

Dreßler zuckte die Schultern. „Ich verstehe Dich nicht, Karl – Du mußt Dich schon etwas klarer ausdrücken.“ Damit setzte er sich dem Freunde gegenüber in den anderen Sessel.

„Wir haben Dich, wie gesagt, grob belogen. Durgassow ist nicht nach Königsberg gefahren, sondern seit Dienstag – verschwunden!“ – Wieland hatte jetzt alle Verlegenheit abgestreift. Nur ein Gedanke beherrschte ihn:[1] Sein Geheimnis schnell los zu werden und dann von dem Freunde sich einen Rat zu erbitten.

Dreßler hatte sich in seinem Sessel mehr erstaunt als erschreckt aufgerichtet.

„Verschwunden? – Wie soll ich das verstehen?“

„Wörtlich, – leider wörtlich!“ meinte Wieland


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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)