Seite:Das Geheimnis eines Lebens.pdf/43

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

alte Möbel und allerlei Raritäten wußte dieser sehr genau ihrem Werte nach abzuschätzen, sondern auch seine Allgemeinbildung gingen weit über die sonstigen Kenntnisse seiner Zunftgenossen hinaus. Dabei besaß Jakob Wenzel einen erstaunlichen Lerneifer, den sein einziges, leider verwachsenes Kind immer wieder anzuregen wußte. – Wera Wenzel, die ihre Mutter früh verloren hatte, war so selbstständig erzogen, wie dies nur die eigentümlichen Lebensbedingungen in den drei Parterrezimmern von Haustor Nr. 16 mit sich bringen konnten. Ihr Vater, dessen einzige Freude sie war und der in ihr das Bild der verstorbenen Gattin fast abgöttisch weiterliebte, hatte sich das Geld vom Munde abgespart, um seinem einzigen Kinde eine gute Erziehung geben zu können. Und die Tochter dankte ihm diese Aufopferung mit einer geradezu rührenden Gegenliebe.

Zwischen Dreßler und Wera Wenzel bildete sich mit der Zeit ein Freundschaftsverhältnis heraus, wie man es selten zwischen zwei so grundverschiedenen Naturen finden wird. Wera, – Wera Wenzel! Wie seltsam hatte Dreßler dieser Name berührt, als er ihn zuerst hörte. Wera! Ein Weib blond, mit Nixenaugen und einem verführerischen Lächeln um einen süßen Mund, – so hatte er sich das Bild eines Mädchens mit diesem Namen in seiner Phantasie stets gezeichnet. – Und diese Wera, – klein, blaß, mager – und doch in dem schmalen Gesichtchen mit den großen Augen einen Zug, aus dem eine große Seele, ein feinempfindendes, tiefveranlagtes Gemüt sprach.

Eines Tages, – Dreßler konnte die Frage nicht unterdrücken, – hatte er Jakob Wenzel ausgeforscht, warum er seinem Kinde gerade diesen Vornamen gegeben habe. Und da war über den kleinen Trödler die Erinnerung an seine schönste Zeit gekommen. – Jakob Wenzel hatte noch heute eine große Vorliebe für das Theater. Und diese stammte aus der Vergangenheit her, aus jener Zeit, wo er, kaum achtzehnjährig, den Kontorschemel mit den Brettern, die die Welt bedeuten, vertauscht hatte. Er war damals einfach

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/43&oldid=- (Version vom 31.7.2018)