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auf und davon gegangen, um sich einer reisenden Schauspielertruppe anzuschließen. Seine Augen leuchteten noch begeistert, wenn er wieder einmal auf jene Tage zu sprechen kam, wo er in einer der kleinen Posenschen Städte mitgeholfen hatte, eine Einnahme von durchschnittlich fünfzig Mark pro Abend zu erzielen. Und der frühere Schmierenschauspieler, damals Viktor Sorani, jetzt Jakob Wenzel, hatte sich schon in jenen Zeiten schauspielerischen Ehrgeizes gesagt, daß, falls ihm später einmal Familie beschieden sein sollte, seine Tochter nur Wera und sein Junge nur Egon heißen dürfe. Als er sich das vornahm, war er kaum zwanzig Jahre alt und mit 60 Mark Gage pro Monat bei der Truppe Gebrd. Seiler als zweiter Liebhaber und jugendlicher Komiker engagiert. Und als ihm, dem Vierzigjährigen, seine Frau dann wirklich ein Töchterlein schenkte, da nannte er sie Wera, – nach Wera, der Heldin irgend eines Birch-Pfeifferschen Rührstückes.

Doktor Dreßler saß heute nicht zum ersten Mal in dem kleinen, so behaglichen Wohnzimmer, das überall die Spuren weiblicher Sorgfalt und feinen Geschmackes zeigte. Für Jakob Wenzel, den Antiquitätenhändler, war dieser Raum mit seinen eleganten Möbeln, den teuren Stichen und dem großen Teppich, dessen Muster zu dem Bezug der Sessel ebensogut wie zu der blaugrauen Tapete paßte, eigentlich viel zu vornehmen. Jedenfalls hätte ein Besucher des kleinen Ladens, in dem auf Wandbrettern und in hohen Gestellen tausend Dinge, vom getragenen Militärrock bis zum alten, aus Elfenbein geschnitzten Schachspiel einfach alles vorhanden war, nie vermutet, hinter diesem Laden und einem ebenso vollgepfropften Korridor ein so anheimelndes Gemach zu finden, das so ganz eine Welt für sich bildete und in dem zwei Menschen ein einsames und doch zufriedenes Leben führten.

Der Doktor hatte, nachdem Frau Wieland ihn verlassen, mit großer Sorgfalt sich die Ereignisse dieses Tages mit all ihren Einzelheiten notiert, trotzdem er ein sehr gutes Gedächtnis besaß. Dann erst sprach

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)