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das frische Grün der Bäume um sich und den lachenden Sonnenschein über sich wie ein Geschenk Gottes empfinden mußte, einer jener Tage, die uns mitteilsam machen, weil die äußere Schönheit der Natur unser Herz mit beglückender Daseinsfreude erfüllt.

Die beiden waren die steile Anhöhe am nördlichen Rande des Waldes emporgestiegen und dann auf dem mit Bänken versehenen, höchsten Aussichtspunkt stehen geblieben. Vor ihnen lagen jetzt weite Felder, in der Ferne die in grüne Baumgruppen eingebetteten Häuser Olivas und Zoppots, dahinter der blaue Spiegel der Danziger Bucht, der am Horizont mit dem wolkenlosen Himmel in eins zerfloß.

„Es ist schön hier bei uns, wunderbar schön,“ sagte Anna Wieland nach einer Weile träumerisch. „Schon oft habe ich gewünscht, dieses herrliche Landschaftsbild auf die Leinwand bannen zu können. Aber leider, – dazu reicht mein kleines Talent nicht aus.“

„Sie denken sehr bescheiden von Ihrer Kunst, Fräulein Anna. Versuchen Sie’s doch einmal! Ich meine, ein besserer Platz zu beschaulicher Arbeit nach der Natur läßt sich kaum finden als dieser hier. Am Alltag ist der Wald hier noch einsamer.“

Inzwischen hatten sich Anna Wielands Gedanken bereits wieder von dem Einfluß dieser farbenfrohen, abwechselungsreichen Umgebung frei gemacht. Sie fürchtete, daß Dreßler sie in ein längeres Gespräch über Kunst verwickeln könnte. Und das wäre ihr sehr ungelegen gekommen, da sie diese Zeit des Alleinseins mit ihm lediglich für die Interessen ihres Bruders auszunutzen gedachte und außerdem auch neugierig war, was der Doktor ihr wohl mitzuteilen hätte. Deshalb ging sie auf seine letzte Bemerkung nicht näher ein, sondern sagte, indem sie mit ihrem Sonnenschirm nach einer abseits stehenden Bank deutete:

„Ich denke, wir nehmen dort für eine Weile Platz. So können wir ganz ungestört und in aller Ruhe das Nötige besprechen.“

„Gut. Ich bin einverstanden,“ erwiderte Dreßler

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/56&oldid=- (Version vom 31.7.2018)