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Tisch gesprungen, hatte aus seiner offen daliegenden Reisetasche ein kleines Fläschchen herausgerissen und sich den Inhalt ebenso schnell in den Mund gegossen. Dann schleuderte er das Fläschchen von sich und rief Dreßler mit wildem Auflachen zu:

„So, nun nehmt mich gefangen, werft mich ins Gefängnis, – wenn Ihr’s könnt! Nie werdet Ihr erfahren, wer ich bin, nie! Mein Geheimnis geht mit mir zu Grunde!“ Und wieder stieß er eine gellende Lache aus, die dem Doktor durch Mark und Bein ging. Aber dieses furchtbare Gelächter brach auch ebenso plötzlich ab. Der Graue griff mit den Händen vor sich ins Leere, wankte und schlug dann schwer, dabei den Tisch mit umreißend zu Boden, reckte noch einmal wie im Krampf die Glieder und lag dann völlig regungslos. – Albert Wenzel hatte sich dem irdischen Richter für immer entzogen.

Dreßler war wie gebannt an seinem Platze stehen geblieben. Große Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Diese Szene, der er eben beigewohnt hatte, war das Entsetzlichste, was er je gesehen. Und es dauerte eine ganze Weile, bis er das lähmende Grauen von sich abschütteln konnte.

Er wollte nähertreten, um sich zu überzeugen, ob es für ihn hier noch irgend etwas zu helfen gab. Da zögerte sein Fuß. Aus der zugleich mit dem Tisch auf den Teppich gefallenen Reisetasche des Fremden war ein dickes, gelbes Kuvert herausgeglitten, dessen Aufschrift nach oben lag.

Dreßler bückte sich und hob den Umschlag, der an einer Seite geöffnet war, in plötzlichem Entschluß auf. Die Adresse auf dem starken gelben Kuvert lautete: „An Frau Maria Wieland, Danzig, Kassubischer Markt 26.“ – Der Doktor kannte die Handschrift nur zu gut! Es war die Michael Durgassows.

„Sollte dies eine vollständige Beichte des Toten sein?“ fragte sich Dreßler. „Sollte Durgassow sie hier in Berent in der Vorahnung seines baldigen Todes niedergeschrieben haben? – Dann wäre es vielleicht am besten, wenn man dieses Kuvert samt seinem Inhalt

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/80&oldid=- (Version vom 31.7.2018)