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Und habe lange, lange gezögert, ob ich nun wirklich auch noch in den Garten hinter unserem alten Hause mich hineinwagen solle – zum zweiten Stelldichein …

Ich habe es gewagt …

Der Garten stößt hinten an Äcker und Felder. Das Haus liegt ja in der Vorstadt. Man atmet hier frische, freie Luft. Deshalb bin ich ja auch aus der Stadt in diese friedliche Oase geflüchtet, die mir jetzt leider nicht das beschert hat, was ich erhoffte.

Doch – zum zweiten Stelldichein …!

Zum zweiten … Toten … –

Weshalb soll ich hier im einzelnen schildern, was ich im Garten an Empfindungen durchlebte, als ich über den niederen, morschen Staketenzaun geklettert war und vor der Laube stand …!

Es möge dies genügen: dicht vor der Laube, wo Fliederbüsche eine Art Vorplatz umrahmen, lag der mumienhafte Alte, der mir aus Fiedlers Wohnung den Brief reichte …

Ich war auf Ähnliches vorbereitet. Und doch packte mich abermals dasselbe Entsetzen … Ich wollte fliehen … Meine Beine waren wie gelähmt. Ich wollte diesmal den Lichtstrahl der Taschenlampe nicht auf die Gestalt am Boden richten, um nicht wiederum eine so furchtbare Wunde zu entdecken wie am Halse der Frau vor dem Pavillon …

Und doch: ich tat’s! Ein unerklärlicher Zwang, der stärker war als mein Wille, ließ mich die Lampe einschalten …

Ich sah – – Blut … ein fahles Antlitz mit gebrochenen Augen …

Und – rannte davon …

Traf in der nächsten Straße einen Polizeibeamten …

Der hielt mich an …

Mit Recht, – denn ich machte ja ohne Zweifel den Eindruck eines Menschen, der ein schlechtes Gewissen hat …

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das Kreuz auf der Stirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1925, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Kreuz_auf_der_Stirn.pdf/17&oldid=- (Version vom 31.7.2018)