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ihrer Lebensbahn bewegen.«[1] Alexandre Arnoux seinerseits beschließt eine Phantasie über den stummen Film geradezu mit der Frage: »Sollten nicht all die gewagten Beschreibungen, deren wir uns hiermit bedient haben, auf die Definition des Gebets hinauslaufen?«[2] Es ist sehr lehrreich zu sehen, wie das Bestreben, den Film der »Kunst« zuzuschlagen, diese Theoretiker nötigt, mit einer Rücksichtslosigkeit ohnegleichen kultische Elemente in ihn hineinzuinterpretieren. Und doch waren zu der Zeit, da diese Spekulationen veröffentlicht wurden, schon Werke vorhanden wie »L’Opinion publique« und »La ruée vers l’or«. Das hindert Abel Gance nicht, den Vergleich mit den Hieroglyphen heranzuziehen, und Séverin-Mars spricht vom Film wie man von Bildern des Fra Angelico sprechen könnte. Kennzeichnend ist, daß auch heute noch besonders reaktionäre Autoren die Bedeutung des Films in der gleichen Richtung suchen und wenn nicht geradezu im Sakralen so doch im Übernatürlichen. Anläßlich der Reinhardtschen Verfilmung des Sommernachtstraums stellt Werfel fest, daß es unzweifelhaft die sterile Kopie der Außenwelt mit ihren Straßen, Intérieurs, Bahnhöfen, Restaurants, Autos und Strandplätzen sei, die bisher dem Aufschwung des Films in das Reich der Kunst im Wege gestanden hätte. »Der Film hat seinen wahren Sinn, seine wirklichen Möglichkeiten noch nicht erfaßt … Sie bestehen in seinem einzigartigen Vermögen, mit natürlichen Mitteln und mit unvergleichlicher Überzeugungskraft das Feenhafte, Wunderbare, Übernatürliche zum Ausdruck zu bringen.«[3]


VIII


Definitiv wird die Kunstleistung des Bühnenschauspielers dem Publikum durch diesen selbst in eigener Person präsentiert; dagegen wird die Kunstleistung des Filmdarstellers dem Publikum durch eine Apparatur präsentiert. Das letztere hat zweierlei

  1. cit. Abel Gance, l. c. [S. 478], p. 100.
  2. Alexandre Arnoux: Cinéma. Paris 1929, p. 28.
  3. Franz Werfel: Ein Sommernachtstraum. Ein Film von Shakespeare und Reinhardt. »Neues Wiener Journal«, cit. Lu, 15 novembre 1935.