Denn du warst selber nur ein Gast des Golds.
Nur einer Zeit zuliebe, die dich flehte
in ihre klaren marmornen Gebete,
auf deiner Stirne Strahlenströme stolz.
Du kehrtest heim, da jene Zeit zerschmolz.
Ganz dunkel ist dein Mund, von dem ich wehte,
und deine Hände sind von Ebenholz.
Das waren Tage Michelangelos,
von denen ich in fremden Büchern las.
Das war der Mann, der über einem Maß,
gigantengroß,
Das war der Mann, der immer wiederkehrt,
wenn eine Zeit noch einmal ihren Wert,
da sie sich enden will, zusammenfaßt.
Da hebt noch einer ihre ganze Last
Die vor ihm hatten Leid und Lust;
er aber fühlt nur noch des Lebens Masse
und daß er alles wie ein Ding umfasse, –
nur Gott bleibt über seinem Willen weit:
für diese Unerreichbarkeit.
Der Ast vom Baume Gott, der über Italien reicht,
hat schon geblüht.
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_022.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)