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denn eher glauben sie dich nicht.
Du aber senkst dein Angesicht.
Du könntest den Bergen die Adern aufschneiden
als Zeichen eines großen Gerichts;

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aber dir liegt nichts

an den Heiden.

Du willst nicht streiten mit allen Listen
und nicht suchen die Liebe des Lichts;
denn dir liegt nichts

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an den Christen.


Dir liegt an den Fragenden nichts.
Sanften Gesichts
siehst du den Tragenden zu.


Alle, welche dich suchen, versuchen dich.
Und die, so dich finden, binden dich
an Bild und Gebärde.

Ich aber will dich begreifen,

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wie dich die Erde begreift;

mit meinem Reifen
reift
dein Reich.

Ich will von dir keine Eitelkeit,

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die dich beweist.

Ich weiß, daß die Zeit
anders heißt
als du.

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_063.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)