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dicht am Hafenkanal ein kleines Häuschen zusammen mit einer mürrischen, halbtauben, alten Wirtschafterin bewohnte und nur eine Leidenschaft außer seiner Tabakpfeife kannte: seine Rosenzucht.

Der Steuermann war nicht gerade beliebt in der Stadt, obwohl er hier aufgewachsen und auch viele Bekannte von früher her hatte, denen er aber stets aus dem Wege ging. Er wollte offenbar einsam bleiben. Das hatte jeder gemerkt, als August Wend vor fünf Jahren seinen Seemannsberuf aufgab und den kleinen Rentner zu spielen begann. Damals hatten Heinrichs Eltern noch gelebt, waren jedoch bereits ein halbes Jahr später einer schweren Epidemie zum Opfer gefallen, ohne ihrem zweiten Sohne – der um sechs Jahre ältere war als Schiffsjunge verschollen – so viel zu hinterlassen, daß er das Gymnasium weiterbesuchen konnte. So war Heinrich denn in das Haus seines einzigen Oheims väterlicherseits gekommen. Und von da an begann jene Leidenszeit für den früher so heiteren und sorglosen Knaben, die in ihrer ganzen Schwere den meisten Bürgern der Stadt verborgen blieb, weil August Wend es nur zu gut verstand, stets den fürsorglichen, liebenden Onkel herauszukehren, wobei ihn die alte Kathrin, seine Haushälterin, recht geschickt trotz ihrer Schwerhörigkeit zu unterstützen wußte.

Nein – der Steuermann erfreute sich keiner großen Beliebtheit bei den Heilmündern. – Wir wollen die kleine, lebhafte Hafenstadt hier Heilmünde nennen und an die Ostsee verlegen. – Man munkelte im Städtchen sogar allerlei über August Wend, hütete sich aber, diese Gerüchte an sein Ohr gelangen zu lassen, da er schon seinem Äußeren nach ein Mann war, dem man besser aus dem Wege ging: groß, breitschultrig, Hände wie Bärenpranken, Augen, die unter dicken Brauen tief im Kopfe lagen und stets einen halb forschenden, halb katzenfreundlichen Blick hatten, während die Mund- und Kinnpartie dieses Menschen wieder von brutaler Selbstsucht, Grausamkeit und eisernem Willen sprachen.

Empfohlene Zitierweise:
W. Belka: Das Tagebuch des Steuermanns. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1919, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_des_Steuermanns.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)