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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

Umschlag in seinen Verhältnissen trat so plötzlich ein, daß er den sonst so energischen Mann fast niedergedrückt hatte. Hilgener war nach Beendigung seines Studiums und einem mit Auszeichnung bestandenen Diplomexamen als Ingenieur in die Heckersche Maschinenfabrik in Danzig eingetreten und schon nach fünf Jahren, als das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, und dabei eine durchgreifende Änderung des ganzen Betriebes vorgenommen wurde, in die Stellung des technischen Direktors mit einem glänzenden Gehalt aufgerückt. Da glaubte er auch endlich nach den Zeiten heißen Strebens an die Verwirklichung seiner Herzenswünsche denken zu können. Er hatte sich schon als Student mit einem unbemittelten Mädchen, der jüngsten Tochter eines Amtsgerichtsrats, verlobt und durfte nun die Braut heimführen in sein Haus, das er sich ganz nach seinem vornehmen Geschmack eingerichtet hatte.

Zwei Jahre folgten, in denen der Glückshimmel des jungen Paares durch kein Wölkchen getrübt wurde. Dann begann das neidische Schicksal langsam seine Wühlarbeit. Die junge Frau konnte sich nach der Geburt des ersten Söhnchens nur schwer erholen, kränkelte fortgesetzt, ohne daß die Ärzte ein bestimmtes Leiden festzustellen vermochten. Das war der erste Schatten, der auf Fritz Hilgeners Glück fiel. Aber die Schatten mehrten sich. Durch den Niedergang der Landwirtschaft in den russischen Ostseeprovinzen, der sowohl durch den Krieg mit Japan als auch durch die fortwährenden Unruhen hervorgerufen wurde, verlor die Heckersche Fabrik, die ausschließlich landwirtschaftliche Maschinen baute, ihr größtes Absatzgebiet. Die Jahresabschlüsse verschlechterten sich, die Reservefonds mußten angegriffen, und bald fast die Hälfte der Arbeiter

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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/20&oldid=- (Version vom 31.7.2018)