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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

der ersten fünf Zeilen fertig war und diese zusammenhängend überlas, schnellte er vor Überraschung von seinem Sitz empor. Das Blut schoß ihm so plötzlich zu Kopf, daß vor seinen Augen bunte Sternchen aufwirbelten und seine Gedanken sich jagten, verwirrten. Märchenhafte Zukunftsträume durchkreuzten wie Visionen sein Hirn, wurden abgelöst von Zweifeln und Befürchtungen, die die aufzuckenden Zauberbilder wieder zerstörten.

Minutenlang saß er dann bewegungslos, unfähig klar zu denken, da und starrte wie hypnotisiert vor sich hin. Nur mit Aufbietung seiner ganzen Energie zwang er sich zur Ruhe. Und hastig griff er dann wieder zum Bleistift, arbeitete mit zitternden Fingern weiter. Und wieder reihte sich Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort, und die Worte wurden Sätze, Sätze, aus denen ein wertvolles Geheimnis herauswuchs, das fast achtzig Jahre zwischen diesen vergilbten Seiten geschlummert hatte – in dem Tagebuch eines Irren.




Als die Geschwister eine Stunde später aus Danzig zurückkehrten, war Hilgener keine Spur von Erregung mehr anzumerken. Die Konsultation bei Professor Valentini hatte ein über Erwarten gutes Ergebnis gehabt, da er kein ernsteres Leiden feststellen konnte, und seine Diagnose nur auf starke Bleichsucht und nervöse Erschöpfung infolge der Aufregungen der letzten Zeit ging.

„Wenn Ihr Herr Schwager die Mittel besitzt,“ hatte er zu Doktor Menk geäußert, „so mag er mit seiner Frau für einige Wochen auf Reisen gehen. Diese Ablenkung wird für die angegriffenen Nerven Ihrer Schwester die beste Kur sein und auch ihr Allgemeinbefinden

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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/32&oldid=- (Version vom 31.7.2018)