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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

In dem Arbeitszimmer des jetzigen Besitzers der Heckerschen Maschinenfabrik steht auf einem aus Eichenholz geschnitzten Gestell eine stark verrostete eiserne Truhe, die durch ihre altertümlichen Verzierungen und sinnreich eingerichteten Kunstschlösser immer wieder die Aufmerksamkeit der Besucher des gastfreien Hauses Hilgener auf sich lenkt. Und in dieser Truhe, die achtzig Jahre lang den Schatz des Kapudan-Beis und Jussuf Meinerts enthielt, liegt ein dickes, unscheinbares Buch mit verschossenem grauen Pappdeckel. Darüber an der Wand hängt ein von einem jungen Danziger Künstler in Öl gemaltes Bild, das in leuchtenden Farben den sonnenbeschienenen Hafen von Neokastro mit seinem Gewimmel von Schiffen aller Art, den weißen Häusern und den verfallenen Resten des einstigen Forts darstellt.

An jedem zwanzigsten Oktober aber wird bei Hilgeners zur Erinnerung an die Seeschlacht bei Navarino ein Fest gefeiert, dessen tiefere Bedeutung nur den vertrauten Freunden der Familie bekannt ist. Denn wunderbarerweise haben die deutschen Tagesblätter seinerzeit die geheimnisvolle Schatzgeschichte nur in kurzen, meist recht unvollkommenen Notizen erwähnt, trotzdem die Person des jungen Ingenieurs damals in Athen gleich nach der Teilung jenes kostbaren Fundes, der einen Wert von mehreren Millionen hatte, und dessen hervorragendste Stücke im Nationalmuseum ausgestellt wurden, Gegenstand der allgemeinen Beachtung war, und die griechischen Zeitungen spaltenlange Berichte über ihn brachten. Hilgener selbst ließ die Welt gern bei dem Glauben, daß er eine reiche Erbschaft gemacht habe, zumal diese Vermutung gar nicht so sehr daneben traf. Denn daß nicht er, sondern sein Schwager der eigentliche Erbe des seltsamen Vermächtnisses

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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)