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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

ungeduldig an einer Klingelschnur, die neben der leise hin und her pendelnden Deckenlampe hing. Wenige Sekunden später wurde der schwere, golddurchwirkte Vorhang vor der in den Nebenraum führenden Tür beiseite geschoben und lautlos glitt ein in weite seidene Gewänder gekleidetes Männlein herein, dessen intelligentes Gesicht das Groteske seiner knabenhaften, verkrümmten Gestalt mit dem übergroßen Kopf fast übersehen ließ.

Dieser Zwerg, der in seinen bunten Kleidern an einen jener Possenreißer erinnerte, wie sie im Mittelalter an Fürstenhöfen gern gehalten wurden, war der Geheimsekretär und vertraute Ratgeber des Kapudan-Beis. Er hieß Joseph Meinert, stammte aus der alten Hansestadt Danzig und war, seines Zeichens eigentlich Barbier, nach abenteuerlichen Irrfahrten nach Konstantinopel gekommen, wo er zum Islam übertrat und so aus einem Joseph ein Jussuf wurde. Nachdem er sich als Arzt, Teppichhändler und in mehreren anderen Berufen versucht hatte, nahm er bei dem Bei zuerst als Koch Dienste, um bald infolge seines Scharfsinns und seiner Sprachkenntnisse bis zu seiner jetzigen Stellung aufzurücken. Sein Alter zu bestimmen war schwer, denn sein farbloses, faltiges Gesicht mit dem spärlichen grauen Schnurrbart und den stets halb verschleierten Schlitzäuglein machte einen fast greisenhaften Eindruck, während die geschmeidige Beweglichkeit der kleinen Gestalt noch jugendlich wirkte.

Der Kapudan-Bei hatte sich nach dem Eintritt seines Sekretärs aufseufzend auf einen Diwan fallen lassen und strich jetzt mit der Hand nervös durch den dunklen Vollbart, wobei er den Kleinen ebenso lauernd musterte wie vorher den englischen Offizier.

„Was sagst du zu der Botschaft Codringtons?“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)