Seite:Das Trinkgeld.pdf/12

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ohne Vereinbarung rechtlich beansprucht werden kann, liegt, obschon der Ausdruck ungenauerweise nicht selten auch darauf angewandt wird, nicht Trinkgeld, sondern Lohn vor. Ein Kutscher, der sich neben dem Preis für die Fahrt noch ein bestimmtes Trinkgeld ausbedingt, erhält juristisch das Ganze als Lohn; die Benennung des einen, kleineren Theils als Trinkgeld hat lediglich einen historischen Grund, sie weist auf die Thatsache hin, dass dieser Theil des Lohnes ursprünglich als freie Gabe zu ihm hinzugefügt ward; juristisch ist es ein Widerspruch in sich selbst, ihn in seiner gegenwärtigen Gestalt noch als Trinkgeld zu bezeichnen.

Das Trinkgeld ist also in rechtlicher Beziehung eine völlig freie Gabe. Dies Kriterium theilt dasselbe mit der Schenkung. Von letzterer unterscheidet es sich durch seinen Zweck. Die Schenkung bezweckt die Bethätigung des Wohlwollens in Form einer ökonomischen Zuwendung, das Trinkgeld eine Vergütung für erwiesene Dienstleistungen (merces); es enthält daher eine Imitation des Lohnes und findet dem Sprachgebrauch zufolge nur bei denselben Dienstleistungen statt, bei denen letzterer Platz greift (den operae illiberales der Römer, d. i. den Dienstleistungen gewerblicher Art oder der dienenden Classe). Bei einer einem Beamten gewährten Remuneration spricht Niemand von Trinkgeld, obgleich dieselbe sachlich mit letzterem

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf von Jhering: Das Trinkgeld. Georg Westermann, Braunschweig 1882, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Trinkgeld.pdf/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)