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Ziehen des Geldbeutels zu ersparen sucht. Solche kleine Gefälligkeiten soll Einer dem Anderen erweisen und von ihm entgegennehmen. Daher enthält das Anerbieten einer Vergütung für sie im Grunde eine Herabsetzung der Person, der es geschieht, es schliesst die Supposition einer niedrigen Gesinnung auf ihrer Seite in sich. Nur in zwei Fällen mag hier das Anerbieten und die Annahme einer Vergütung am Platze sein, einmal nämlich im Fall der Bedürftigkeit des Empfängers – hier lässt sich die Gabe unter den Gesichtspunkt eines durch die Gefälligkeit veranlassten Almosens bringen – und sodann in dem Fall, wo der Dienst das Mass der gewöhnlichen Gefälligkeit übersteigt und die Umstände zeigen, dass er in Erwartung einer Vergütung erwiesen ward; hier nimmt letztere die Natur eines durch die Billigkeit dictirten Lohnes an.[1]

Diese erste Art des Trinkgeldes ruft in socialer Beziehung nicht das mindeste Bedenken

  1. Für Nichtjuristen bemerke ich in Bezug auf diesen Fall Folgendes. Die Erweisung eines Dienstes ohne bedungenen oder versprochenen Lohn begründet rechtlich nur dann einen Anspruch auf denselben, wenn derjenige, der ihn erweist, ein Geschäft (Gewerbe) aus der Verrichtung solcher Dienstleistungen macht, und der Andere diese seine Eigenschaft kannte. Ein Dienstmann, der mir meine Reisetasche vom Bahnhof ins Hotel bringt, hat einen rechtlichen Anspruch auf Lohn, ein Tagelöhner nicht. Ein Advokat, den ich um seine rechtliche Ansicht über einen Rechtsfall bitte, kann mir dafür ein Honorar
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Rudolf von Jhering: Das Trinkgeld. Georg Westermann, Braunschweig 1882, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Trinkgeld.pdf/14&oldid=- (Version vom 18.8.2016)