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es spottet jedes Versuches, ihm mit irgend einem Princip beizukommen; es lässt sich in keine Regel bannen – das Trinkgeld ist capriciös.


VI.

Damit stehen wir vor der Frage, welche Motive denn das Trinkgeld in den Verhältnissen, in denen es einmal obligat geworden ist, eingeführt haben mögen. Darüber lassen sich selbstverständlich nur Muthmassungen äussern, denn diejenigen Personen, welche es zuerst verabreichten, haben uns darüber keine Kunde hinterlassen. Die Frage: Was hat sie veranlasst? vermögen wir also nur in der Form zu beantworten: Was konnte sie veranlassen?

Meiner Ansicht nach lässt sich als Grund nur der Egoismus namhaft machen. Das ursprüngliche Motiv des Trinkgeldes war nicht Wohlwollen, Menschenfreundlichkeit, Billigkeit, sondern Eigennutz – der Mann, der das erste Trinkgeld gab, bezweckte etwas für sich damit. Was denn? Zwei Verhältnisse sollen uns darauf die Antwort ertheilen: das Trinkgeld des Fahrgastes an den Droschkenkutscher und das des Gastes an das Dienstpersonal in Restaurationen und Gasthöfen.

Es nimmt Jemand eine Droschke, dem viel daran liegt, rasch befördert zu werden, um z. B. noch zeitig zur Eisenbahn zu gelangen. Zahlt er bloss die Taxe, so hält der Kutscher sein gewöhnliches

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Rudolf von Jhering: Das Trinkgeld. Georg Westermann, Braunschweig 1882, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Trinkgeld.pdf/22&oldid=- (Version vom 31.7.2018)