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sehr lange. Aber mein Vormund bestand darauf – wohl in meinem Interesse, damit mein Leben nicht weiter von diesem Menschen, der beinahe zum Giftmörder geworden war, aus habsüchtigen Motiven bedroht sein solle.

Wenn Sie, lieber Freund, für den ich diese mich teilweise so tief demütigende Geschichte niederschreibe, mich nun fragen – und das liegt ja so sehr nahe, weshalb ich mich von meinem Gatten unter diesen Umständen nicht scheiden ließ, so antworte ich ehrlich: lediglich meines Kindes wegen! – In dem Prozeß hätte die vergiftete Schokolade fraglos eine große Rolle gespielt. Alle Welt hätte[1] erfahren, welch ein verworfener Charakter der Vater meines kleinen Richard war, dieser Vater, der des versuchten Giftmordes wegen unfehlbar für lange Jahre ins Zuchthaus gewandert wäre. Und das alles wollte ich dem unschuldigen Kinde ersparen. Es sollte sich später seines Namens nicht zu schämen brauchen, nicht den Schimpf mit sich herumschleppen, daß der, dem es sein Leben verdankte, für alle Zeit gebrandmarkt sei. – Freilich, wenn ich damals schon gewußt hätte, wie es um die geistigen Fähigkeiten meines Kindes stand, eben daß es niemals auch nur Durchschnittsintelligenz besitzen würde, dann – dann – – Doch das ist nun zu spät.

Mein Mann verließ Europa. Vier Jahre lang hörte ich nichts von ihm, nichts. Und dann kam jener Vormittag, an dem wir beide auf dem Bootsstege standen und nach der gescheiterten Brigg hinüberschauten, an dem Sie mich plötzlich stützen mußten, da eine Anwandlung von Schwäche mich befiel. Sie ahnten nicht, aus welchem Grunde mir plötzlich die Sinne zu schwinden drohten.

Der, den das Boot der Fischer als einzigen Geretteten an das Land brachte, war er – er.

Auch er muß mich erkannt haben. Ich sah das


  1. Vorlage: hatte.
Empfohlene Zitierweise:
W. von Neuhof: Das graue Gespenst. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_graue_Gespenst.pdf/61&oldid=- (Version vom 25.7.2016)