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der Sklavinnen und Herstellung des goldenen Zeitalters mit folgenden Worten:

„Schonet der mahlenden Hand, o Müllerinnen, und schlafet
Sanft! Es verkünde der Hahn euch den Morgen umsonst!
Däo hat die Arbeit der Mädchen den Nymphen befohlen,
Und jetzt hüpfen sie leicht über die Räder dahin,
Daß die erschütterten Achsen mit ihren Speichern sich wälzen,
Und im Kreise die Last drehen des wälzenden Steins.
Laßt uns leben das Leben der Väter, und laßt uns der Gaben
Arbeitslos uns freu’n, welche die Göttin uns schenkt.“

Ach, die Zeit der Muße, die der heidnische Dichter verkündete, ist nicht eingetroffen; die blinde, wahnsinnige und menschenmörderische Arbeitssucht hat die Maschine aus einem Befreiungsinstrument in ein Instrument zur Knechtung freier Menschen umgewandelt: die Produktionskraft der Maschine ist die Ursache der Verarmung der Massen geworden.

Eine gute Arbeiterin verfertigt auf dem Handklöppel fünf Maschen in der Minute, gewisse Klöppelmaschinen fertigen in derselben Zeit dreißigtausend Maschen an. Jede Minute der Maschine ist somit gleich hundert Arbeitsstunden der Arbeiterin, oder vielmehr, jede Minute Maschinenarbeit ermöglicht der Arbeiterin zehn Tage Ruhe. Was für die Spitzenindustrie gilt, trifft mehr oder minder für alle durch die moderne Mechanik umgestalteten Industrien zu. Was sehen wir aber? Je mehr sich die Maschine vervollkommnet und mit beständig verbesserter Schnelligkeit und Sicherheit die menschliche Arbeit verdrängt, verdoppelt der Arbeiter, anstatt seine Ruhe entsprechend zu vermehren, noch seine Anstrengung, als wollte er mit den Maschinen wetteifern. O thörichte und verderbliche Konkurrenz!

Um der Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine freien Lauf zu verschaffen, wurden die Gesetze, welche die Arbeit der Handwerker der alten Zünfte beschränkten, abgeschafft, die Feiertage unterdrückt.[1]

  1. Im Mittelalter garantirten die Gesetze der Kirche den Arbeitern 90 Ruhetage (52 Sonntage und 38 Feiertage), während deren es streng untersagt war, zu arbeiten. Das war das große Verbrechen des Katholizismus, die Hauptursache der Irreligiosität des industriellen und handeltreibenden Bürgerthums. Sobald dasselbe in der französischen Revolution ans Ruder kam, setzte es die Feiertage ab und ersetzte die Woche von sieben Tagen durch die zehntägige Woche, auf daß das Volk nur einen Ruhetag auf zehn habe. Es befreite die Arbeiter vom Kirchenjoch, um sie um so strenger unter das Joch der Arbeit zu spannen. Der Haß gegen die Feiertage macht sich erst in dem Moment bemerkbar, wo die moderne industrielle und kommerzielle Bourgeoisie auf die Bühne tritt, d. h. im 15. und 16. Jahrhundert. Heinrich IV. verlangte ihre Reduktion vom Papste; dieser schlug ihm dieselbe ab, weil „eine der Ketzereien, die heute zu Tage treten, die Feiertage betrifft“. (Brief des Kardinals d’Ossat.) Aber 1666 verbot Perefixus, Erzbischof von Paris, 17 derselben. Der Protestantismus, diese den neuen Handels- und Industriebedürfnissen der Bourgeoisie angepaßte Form der Kirche, kümmert sich wenig um die Erholung des Volkes; er entthronte die Heiligen im Himmel, um ihre Feste auf Erden abschaffen zu können.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/17&oldid=- (Version vom 11.6.2017)