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Meint man aber, daß die Arbeiter, weil sie damals von sieben Tagen der Woche nur fünf arbeiteten, nur von Luft und Wasser gelebt hätten, wie die verlogenen Nationalökonomen uns vorerzählen? Geht doch! Sie hatten Mußezeit, um die irdischen Freuden zu kosten, um der Liebe zu pflegen und Possen zu treiben, und vergnügt zu Ehren des großen Gottes der Nichtsthuerei Tafel zu halten. Das grämliche, in dem Protestantismus verheuchelte England hieß damals das „lustige England“ (merry England). Rabelais, Quevedo, Cervantes, die unbekannten Verfasser der pikarischen (Schelmen-) Romane, machen uns das Wasser im Munde zusammenlaufen mit ihren Schilderungen jener monumentalen Schmausereien, mit denen man sich damals regalirte und in denen „nichts gespart ward“.[1] Jordaens und die niederländische Malerschule haben sie uns auf ihren lebenslustigen Gemälden dargestellt. Erhabene Riesenmägen, was ist aus Euch geworden? Erhabene Geister, die ihr den ganzen menschlichen Gedanken umfaßtet, wo seid ihr hin? Wir sind durch und durch entartet und verzwergt. Perlsüchtige Kühe, die Kartoffel, Fuchsinwein, Bier aus Herbstzeitlose und der preußische Schnaps haben in weiser Verbindung mit Zwangsarbeit unsere Körper erschlafft und unsern Geist schwerfällig gemacht. Und zur selben Zeit, wo die Menschen ihren Magen zusammenschnüren und die Produktivität der Maschine von Tag zu Tag wächst, wollen uns die Oekonomen die Malthus’sche Theorie, die Religion der Enthaltsamkeit und das Dogma von der Arbeit predigen? Man sollte ihnen lieber die Zunge ausreißen und den Hunden vorwerfen.

Da jedoch die Arbeiterklasse in ihrer Einfalt und Treuherzigkeit sich den Kopf hat verdrehen lassen und mit angeborenem Ungestüm blindlings auf die Devise „Arbeit und Enthaltsamkeit“ hineingefallen ist, so sieht sich die Kapitalistenklasse zu erzwungener Faulheit und Ueppigkeit, zur Unproduktivität und Ueberkonsumtion verurtheilt. Und wenn die Ueberarbeit des Proletariers seinen Körper abrackert und seine Nerven zerrüttet, so ist sie für den Bourgeois nicht minder fruchtbar an Leiden.

Die Enthaltsamkeit, zu welcher sich die produktive Klasse hat verurtheilen lassen, macht es der Bourgeoisie zur Pflicht, sich der Ueberkonsumtion

  1. Diese pantagruelischen (gigantenhaften) Feste dauerten ganze Wochen. Don Rodrigo da Lara erwarb seine Braut durch Vertreibung der Mauren aus Calatrava, und der Romancero erzählt, daß


    Las bodas fueron en Burgos
    Las tornabodas en Salas:
    En bodas y tornabodas
    Pasaron siete semanas.
    Tantas vienen de las gentes ...
    Que no caben por las plazes ...

    (Die Hochzeit ward in Burgos, die Heimkehr von der Hochzeit in Salas gefeiert; mit Hochzeits- und Heimkehrfeier vergingen sieben Wochen; so viel Leute strömten herbei, daß die Räume sie nicht fassen konnten …) Die Menschen dieser Hochzeitsfeste von sieben Wochen waren die heroischen Soldaten der Unabhängigkeitskriege.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/18&oldid=- (Version vom 11.6.2017)