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Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit

Vorwort des Verfassers.




Im Jahre 1849 sagte Herr Thiers als Mitglied der Kommission für den Elementarschulunterricht: „Ich will den Einfluß des Klerus zu einem allgemeinen machen, weil ich auf ihn rechne in der Verbreitung jener gesunden Philosophie, die dem Menschen lehrt, daß er hier ist, um zu leiden, und nicht jener anderen Philosophie, die im Gegentheil zum Menschen sagt: Genieße!“ Herr Thiers formulirte damit die Moral der Bourgeoisie, deren brutaler Egoismus und deren engherzige Denkart sich in ihm verkörperte.

Als das Bürgerthum noch gegen den von der Geistlichkeit unterstützten Adel ankämpfte, pflanzte es das Banner der freien Forschung und des Atheismus auf; kaum aber hatte es sein Ziel erreicht, so änderte es Ton und Haltung; und heute sehen wir es bemüht, seine ökonomische und politische Herrschaft auf die Religion zu stützen. Im 15. und 16. Jahrhundert hatte es fröhlich die Ueberlieferungen des Heidenthums aufgegriffen und das Fleisch und dessen Leidenschaften, diesen „Greuel“ in den Augen der christlichen Moral, verherrlicht; heute dagegen, wo es in Reichthum und Genüssen aller Art fast erstickt, will es von den Lehren seiner Denker, der Rabelais und Diderot, der Lessing und Goethe, nichts wissen und predigt den Lohnarbeitern die Lehre von der Enthaltsamkeit. Die kapitalistische Moral, eine jämmerliche Kopie der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem feierlichen Bannfluch: ihr Ideal besteht darin, die Bedürfnisse des Produzenten (d. h. des wirklich Produzirenden) auf das geringste Minimum zu reduziren, seine Genüsse und seine Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurtheilen, aus der man ohne Rast und ohne Dank Arbeit nach Belieben herausschindet.

Die revolutionären Sozialisten sind somit vor die Aufgabe gestellt, den Kampf, den einst die Philosophen und Satiriker des Bürgerthums gekämpft, wieder aufzunehmen; sie haben wider die Moral und die Soziallehren des Kapitalismus Sturm zu laufen und in den Köpfen der zur Aktion berufenen Klasse die Vorurtheile auszurotten, welche die

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Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/5&oldid=- (Version vom 9.5.2017)