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Will man in unserem zivilisirtem Europa noch eine Spur der ursprünglichen Schönheit des Menschen finden, so muß man zu den Nationen gehen, bei denen das ökonomische Vorurtheil den Haß wider die Arbeit noch nicht ausgerottet hat. Spanien, das jetzt allerdings auch aus der Art schlägt, darf sich noch rühmen, weniger Fabriken zu besitzen, als wir Gefängnisse und Kasernen; aber des Künstlers Auge weilt bewundernd auf dem kühnen, kastanienbraunen, gleich Stahl elastischen Andalusier; und unser Herz schlägt höher, wenn wir den in seiner durchlöcherten „Capa“ majestätisch drapirten Bettler einen Herzog von Ossuna mit „amigo“ (Freund) traktiren hören. Für den Spanier, in dem das ursprüngliche Thier noch nicht ertödtet ist, ist die Arbeit die schlimmste Sklaverei. Auch die Griechen hatten in der Zeit ihrer höchsten Blüthe nur Verachtung für die Arbeit; den Sklaven allein war es gestattet, zu arbeiten, der freie Mann kannte nur körperliche Uebungen und Spiele des Geistes. Das war die Zeit eines Aristoteles, eines Phidias, eines Aristophanes, die Zeit, da eine Handvoll Tapferer die Horden Asiens bei Marathon vernichtete, welches Alexander bald darauf eroberte. Die Philosophen des Alterthums lehrten die Verachtung

    glänzendes Muster der Gattung Mensch dar; ihre physische Erscheinung machte den Eindruck einer der unserigen überlegenen Rasse.“ Mit derselben Bewunderung betrachteten die Zivilisirten des alten Rom, ein Cäsar und Tacitus, die Germanen der kommunistischen Stämme, die in das römische Reich eindrangen. Gleich Tacitus stellte Salvian, der „Lehrer der Bischöfe“, im 5. Jahrhundert den Zivilisirten und Christen die Barbaren als Muster hin: „Wir sind unzüchtig inmitten von Barbaren, die keuscher sind als wir. Mehr noch; die Barbaren nehmen an unserer Unzucht Anstoß. Die Gothen dulden keinen Wüstling ihres Stammes unter sich; nur die Römer in ihrer Mitte haben Dank dem traurigen Privilegium ihres Namens und ihrer Nationalität das Recht, unrein zu sein. (Die Päderastie war damals bei den Christen stark in Mode.) – – – – Die Unterdrückten gehen zu den Barbaren, Menschlichkeit und Schutz zu suchen.“ (de gubernatione Dei.) Die alte Zivilisation und das aufstrebende Christenthum korrumpirten die Barbaren der alten Welt geradeso, wie das altersschwache Christenthum und die moderne kapitalistische Zivilisation die Wilden der neuen Welt korrumpiren. Der auch in Deutschland bekannte katholische Schriftsteller, Herr F. Le Play, dessen Beobachtungstalent man anerkennen muß, selbst wenn man seine mit philanthropischer und christlicher Spießbürgerei versetzten soziologischen Schlüsse verwirft, sagt in seinem Buch: „Die europäischen Arbeiter“ (1855): „Der Hang der Baschkiren zur Faulheit (die Baschkiren sind halbnomadische Hirten im Ural), die mit dem Nomadenleben verbundene Muße, sowie die Gewohnheit des Nachdenkens, welche erstere bei den besser begabten Individuen hervorrufen, haben bei diesen Leuten oft eine Feinheit der Manieren, eine Schärfung von Intelligenz und Urtheil zur Folge, wie man sie in einer höheren Zivilisation auf dem gleichen sozialen Niveau selten findet. ...Was ihnen am meisten zuwider ist, sind die Ackerarbeiten; sie thun eher alles Andere, als daß sie sich zum Beruf des Ackerbauers entschließen.“ In der That ist der Ackerbau die erste Erscheinungsform knechtischer Arbeit in der Menschheit.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/8&oldid=- (Version vom 9.5.2017)