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der Arbeit, dieser Herabwürdigung des freien Mannes: die Dichter besangen die Faulheit, dieses Geschenk der Götter:

O Melibäus, ein Gott schenkte uns diesen Müssiggang!

singt Virgil. Christus lehrt in der Bergpredigt die Faulheit: „Sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, und doch sage ich Euch, daß Salomo in all’ seiner Pracht nicht herrlicher gekleidet war.“ (Mathäi 6, 28 und 29.) Jehovah, der bärtige und sauertöpfische Gott, gibt seinen Verehrern das erhabenste Beispiel idealer Faulheit: nach sechs Tagen Arbeit ruht er auf alle Ewigkeit aus.

Welches sind dagegen die Rassen, denen die Arbeit ein organisches Bedürfniß ist? Die Auvergnaten in Frankreich; die Schotten, diese Auvergnaten der brittischen Inseln; die „Gallegos“ (Galizier) diese Auvergnaten Spaniens; die Oberschlesier, diese Auvergnaten Deutschlands, die Chinesen, diese Auvergnaten Asiens. Welches sind in unserer Gesellschaft die Klassen, welche die Arbeit um der Arbeit willen lieben? Die Kleinbauern und Kleinbürger, welche, die einen auf ihren Acker gebückt, die andern in ihren Boutiken vergraben, dem Maulwurf gleichen, der in seiner Höhle herumwühlt, und sich nie aufrichten, um mit Muße die Natur zu betrachten.

Und auch das Proletariat, die große Klasse der Produzenten aller zivilisirten Nationen, die Klasse, die durch ihre Emanzipation die Menschheit von der knechtischen Arbeit erlösen und aus dem menschlichen Thier ein freies Wesen machen wird, auch das Proletariat hat sich, seinen historischen Beruf verkennend, von dem Dogma der Arbeit verführen lassen. Hart und schrecklich war seine Züchtigung. Alles individuelle und soziale Elend entstammt seiner Leidenschaft für die Arbeit.




II.
Der „Segen“ der Arbeit.

Im Jahre 1770 erschien in London eine anonyme Schrift, betitelt: „An essay on trade and commerce“ (Ein Essai über Industrie und Handel), die zu ihrer Zeit ein gewisses Aufsehen machte. Ihr Verfasser, ein großer Philanthrop, erboste sich darüber, daß „der englische Manufakturpöbel es sich in den Kopf gesetzt, daß ihm als Engländer durch das Recht der Geburt das Privilegium zukommt, freier und unabhängiger zu sein als das Arbeitervolk in irgend einem Lande von Europa.“ Nun, fährt der Biedermann fort, „diese Idee, soweit sie auf die Tapferkeit unserer Soldaten einwirkt, mag von einigem Nutzen sein; aber je weniger die Manufakturarbeiter davon haben, desto besser für sie selbst und für den Staat. Arbeiter sollten sich nie für unabhängig von ihren Vorgesetzten halten. ... Es ist außerordentlich gefährlich, Mobs in einem kommerziellen Staat wie dem unserigen zu ermuthigen, wo vielleicht sieben

Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/9&oldid=- (Version vom 9.5.2017)