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es auch eine Liebe, die in den Jugendtagen unbewußt bereits in mir geschlummert hatte und die sich dem Manne nur als größte und stärkste Offenbarung zeigte, – es war nicht nur das Peinliche mancher Situationen, sondern ebenso sehr die stete Gefahr, die dieser Kerkerhaft den Reiz eines dauernd verabfolgten starken Aufpeitschungsmittels verlieh. Es war fraglos in seiner Art das Abenteuerlichste, Seltsamste, Ungewöhnlichste, das mir je begegnet ist. Ein Abenteuer braucht nicht lediglich Sensation zu sein, auch komische Züge, lächerliche Einzelheiten vervollständigten hier das Empfinden, vollkommen abseits vom Alltag zu stehen, vom Schicksal hineingepflanzt zu sein in eine wunderliche Welt krassester Gegensätze. Wie oft waren wir, wenn wir den Laderaum aufsuchten, ganz nahe daran erwischt zu werden. Einmal haben Gerda und ich volle vier Stunden im Kielraum im äußersten Winkel hinter zwei Ballastsäcken gekauert, während die Meuterer (es waren zumeist Mulatten, Neger und nur wenige Mestizen, im ganzen schätzungsweise fünfzehn Mann) den Laderaum aufs genaueste durchstöberten und jede Kiste aufbrachen, – meine Schuld, denn ich hatte aus bestimmten Gründen unten im Kielraum eine große Flasche Lysol über die Säcke verspritzt, und dieser scharfe Geruch hatte den Verdacht der Piraten erregt, von denen sich keiner dazu bekannte, die Lysolflasche zertrümmert zu haben. In jenen Stunden war die Gefahr des Entdecktwerdens[1] für uns sehr oft scheinbar nicht mehr abzuwenden, und sowohl Gerda als auch ich hielten unsere Pistolen jeden Moment schußbereit, denn lebend wollten wir diesen Burschen nicht in die Hände fallen. Wir hätten unser bißchen Leben freilich

  1. Vorlage: Entdecktswerdens
Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/103&oldid=- (Version vom 31.7.2018)