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satt. Ich war in den letzten acht Monaten, wo ich lediglich häßliche Pantoffel genäht und nicht ein einziges Mal anständig diniert hatte, fraglos um dreißig Pfund leichter geworden. Ich schätzte mein Gewicht auf hundertzehn. Wenn die Drähte hielten und wenn ich das Kunststück fertig brachte, auf diesen Metallstrippen, die den Weg in die Freiheit darstellten – den einzig möglichen Weg, bis drüben zum dicken Holzmast der Starkstromleitung zu gelangen, so war immerhin etwas gewonnen. Noch lange nicht alles.

Vom Boden des roten Ziegelgebäudes hatte ich mir ein Stück von einer zerbrochenen Fahnenstange mitgebracht. Als Balancierstange.

Ich setzte mich auf den Lukenrand, streifte die plumpen Lederschuhe ab und zog die anderen über – aus Gummistoff, auch selbstgefertigt, genau wie die Gummihandschuhe, die ich über meine Finger zwängte. Mit solchen Drähten muß man vorsichtig sein, zumal wenn die Isolation des Plusleiters vom Zahn der Zeit schon arg benagt ist und man nicht dafür gutsagen kann, das Gleichgewicht trotz totaler Nüchternheit nicht zu verlieren.

Unten im Hofe ging ein dunkler Schatten hin und her. Der Mann war mir gleichgültig, auch sein Karabiner. Die Instruktion verlangte, daß er die hohe Ziegelmauer überwache, die oben noch eine nach innen geneigte Verlängerung von acht Stacheldrähten trug. Bisher war noch keiner meiner Kameraden über diese Mauer hinweggelangt.

Ich packte die Stange und begann diesen Weg zu beschreiten, der wahrhaftig kein Alltagsweg war. Die Dachluke hatte ich wieder zugeklappt.

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)