Seite:David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Bd 1.djvu/386

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Diese Gesetze für den Klassenkörper sind einer weiten Verallgemeinerung fähig; sie lassen eine wunderbare Harmonie erkennen und erschließen, wie mir scheint, ein an neuen arithmetischen Wahrheiten reiches Gebiet.

Auch eine Theorie der Geschlechter läßt sich in unserem relativquadratischen Körper aufstellen; aus dieser fließen dann die Bedingungen für die Auflösbarkeit ternärer diophantischer Gleichungen, deren Koeffizienten Zahlen des beliebigen Rationalitätsbereiches sind.

Wir haben uns in diesem Vortrage auf die Untersuchung relativ Abelscher Körper vom zweiten Grad beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch nur eine vorläufige, und da die von mir bei den Beweisen der Sätze angewandten Schlüsse sämtlich der Verallgemeinerung fähig sind, so steht zu hoffen, daß die Schwierigkeiten nicht unüberwindliche sein werden, die die Begründung einer allgemeinen Theorie der relativ Abelschen Körper bietet. Die oben in der Theorie des relativquadratischen Körpers auftretenden, in der Unterscheidung zwischen reellen und imaginären Körpern beruhenden Schwierigkeiten fallen in der Theorie der Abelschen Körper von ungeradem Relativgrade sogar gänzlich fort, und die höheren Reziprozitätsgesetze erhalten deshalb einen noch einfacheren Ausdruck als das quadratische Reziprozitätsgesetz , indem dann in dieser Formel an Stelle der rechten Seite stets die Zahl tritt.

Die Theorie der relativ Abelschen Körper enthält als besonders einfachen Fall die Theorie derjenigen Zahlkörper, die die komplexe Multiplikation der elliptischen Funktionen liefert. Da H. Weber[1] für diese Körper die Eigenschaften und bewiesen hat, so werden wir hieraus schließen, daß den nämlichen Zahlkörpern das volle System der oben angedeuteten arithmetischen Eigenschaften zukommt; es ist dann nicht schwer, den Nachweis dafür zu erbringen, daß die Abelschen Gleichungen im Bereiche eines quadratischen imaginären Körpers durch die Transformationsgleichungen elliptischer Funktionen mit singulären Moduln erschöpft werden – und dies hieße, den „liebsten Jugendtraum“ Kroneckers verwirklichen, der diesen Gelehrten noch bis an seinen Lebensabend lebhaft beschäftigt hat.



  1. Vgl. Elliptische Funktionen und algebraische Zahlen (Braunschweig 1891), sowie die zweite und dritte der vorhin genannten Abhandlungen über Zahlengruppen.