Seite:De Alemannia XIX 058.jpg

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die Burg; auch weiß Niemand, wann und wie die Burg zerstört worden ist. In einem tiefen Keller unter ir soll aber ein großer Schaz verborgen ligen. Disen bietet ein gespenstisches Fräulein dem an, der sie erlöst. Der sie erlösen kann, muß aber an einem bestimmten heiligen Tage geboren sein und nur alle hundert Jаrе einmal kommt ein solcher zur Welt, der sie erlösen könnte. Es ist noch nicht so lange her, daß in Wannweil ein Jüngling lebte, der das Fräulein hätte erlösen können, erzält man dort. Sie bat in auch öfter inständig darum: aber er wollte nicht, obwol sie im zum Lone den großen Schaz im Berge versprach. Als nun die Zeit zu Ende gieng, in der ire Erlösung hätte geschehen können, hörte man oft in der Nacht ein schauerliches Klagen von der Burg her. Das Fräulein jammerte und klagte, daß es nun weitere hundert Jare umgehen und schweben müße. Es soll ein schönes Fräulein sein in schneeweißem Kleide, weißem Schleier und goldenem Gürtel, an dem ein Schlüßelbund hängt. Das Fräulein siht also aus wie die Ursel, die im Urschlenberge bei Pfullingen in einem unterirdischen Schloße verzaubert wont.

Zuweilen jedoch, sagt man, komme der Geist auch als Schlange aus der Schlucht hinter der Burg hervor mit einem Krönlein auf dem Kopfe und, wie manche beifügen, einem Ringe, daran Schlüßel hängen, am Halse. Die Schlange sei früher oft durch die Ackerfurchen herangekommen, über die Echatz geschwommen, habe sich stundenlang auf einem Felsen drüben am Aurain gesonnt und sei dann auf dem gleichen Wege zur Burg zurückgekert. Wer auf den Aeckern gepflügt habe, habe der Schlange mit Ochsen und Pflug ausweichen müßen. Ein noch nicht alter Mann hat mich versichert, sie sei einmal auch seinem Großvater begegnet, als er pflügte. Bös sei die Schlange nicht, erzält man, denn vor Zeiten sei sie öfters in ein Haus nahe der Echatz gekommen und habe mit den Kindern, wenn sie allein zu Hause waren, Milch gegeßen. Das Haus wird noch gezeigt, es ist, wenn ich nicht irre, das vorlezte Haus links an der Straße, wenn man von Reutlingen kommend, das Dorf verläßt. Da sei die Schlange stets zum Hünerloch in der Haustüre hineingeschlüpft, um mit den Kindern Milch zu eßen. Einmal aber habe eines der Kinder, das „nicht ganz recht“ gewesen sei, die Schlange mit dem Löffel auf den Kopf geschlagen und habe gesagt: „Du! friß nicht lauter Milch! – auch Brocken!“ Da sei die Schlange nicht mer gekommen.

Nach dem Schaze auf der Burg ist schon oft gegraben worden, wie man in Wannweil versichert. Aber wenn man die große Kiste, die voll Gold ist, schon siht, so springt ein schwarzer Pudel mit feurigen Augen, der darauf sizt, herab und wenn man dann erschrickt, verschwindet die Kiste wider, alles ist umsonst.

Empfohlene Zitierweise:
Anton Birlinger, Fridrich Pfaff (Hrsg.): Alemannia XIX. Hanstein, Bonn 1892, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XIX_058.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)