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in den See versunken ist, andere sagen, es ist der alte Götzentempel. Das glaub’ ich aber nicht; denn was sollten die Heiden an christlichen Festtagen läuten? Aber das Klingen und Läuten im See ist dir gar nichts gegen das, was im Wall vorgeht, und davon will ich dir eine Geschichte erzählen. Da sitzt eine wunderschöne Prinzessin mit zu Felde geschlagenen Haaren und weinenden Augen, und wartet auf den, der sie erlösen soll; und dies ist eine sehr traurige Geschichte.

In jener alten Zeit, als das Gartzer Heidenschloß von den Christen belagert ward und die drinnen in großen Nöthen waren, weil sie sehr gedrängt wurden, als schon manche Türme niedergeworfen waren und sie auch nicht recht mehr zu leben hatten und die armen Leute in der Stadt hin und wieder schon vor Hunger starben, da war drinnen ein alter eisgrauer Mann, der Vater des Königs, der auf Rügen regierte. Dieser alte Mann war so alt, daß er nicht recht mehr hören und sehen konnte, aber es war doch seine Lust, unter dem Golde und unter den Edelsteinen und Diamanten zu kramen, welche er und seine Vorfahren im Reiche gesammelt hatten, und welche tief unter der Erde in einem schönen aus eitel Marmelsteinen und Krystallen gebauten Saale verwahrt wurden. Davon waren dort ganze große Haufen aufgeschüttet, viel größere, als die Roggen-

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_011.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)