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Laufen war und in der Angst nicht wußte, wohin, da traf sie, wo sonst ihr Liliengang gewesen und wo jetzt kahle Disteln standen, auf die alte Hexe, welche hustend und hinkend auf sie zukam und mit jedem Augenblick an Größe und Scheußlichkeit wuchs bis zu der Länge einer Riesin, bis sie sich, als sie dicht vor ihr stand, plötzlich in eine ungeheure Kröte verwandelte, die mit offenem Rachen nach ihr schnappte, daß sie sie verschlänge. Darüber wachte die Prinzessin auf, und war blaß wie der Tod und ganz verstört, als sie aufstand.

Sie ging in ihren Garten hinaus und fand ihn noch unverwandelt und eben so schön, als sonst; sie sah da auch nichts Ungeheures, als den Prinzen Qualiquo, der schon wieder an einer Weinquelle lag und schlürfte. Aber sie hatte doch keine Ruhe und ward von schweren Gedanken geplagt; und es war ihr, als können die Lilien in jedem Augenblick Disteln und die Orangenbäume Dornsträuche werden und als können alle ihre lieblichen Nachtigallen bald als Krähen und Raben Unglück von den Zweigen herabkrähen, und sie ging deswegen in unbeschreiblicher Angst umher. Und es trieb sie mit Gewalt, daß sie nicht anders konnte, sie mußte sich wirklich die Stirn mit dem Goldringelein reiben und das Verslein dazu hersagen und wieder

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_292.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)