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es waren Bilder aus den Träumen, in welchen die kleinen Weissen ihr das Schloß und den Garten nebst vielem anderm oft vorgespiegelt hatten. Das schwebte dunkel vor ihr und sie meinte wirklich, sie habe diese Orte schon einmal gesehen. Sie war müde von der Wanderung, setzte sich auf eine Bank, die unter einer hohen Eiche stand, nahm ihre Laute und sang; und das Vöglein flatterte auf ihre Hand und bewegte die Flügel, wie sie die Finger auf die Saiten legte. Sie sang aber ihr ältestes Lied von den Lilien, ihren Wiegengesang, das Einzige, was sie aus ihrer frühesten Kindheit behalten hatte. Als sie nun mit heller Stimme den Vers sang:


Schlafe, Kindlein, schlafe nun,
Sollst in Gottes Frieden ruhn,
Denn die lieben Engelein
Wollen deine Wächter seyn.


da wollte es Gott, daß der König und die Königin eben aus einem Seitengange an der Bank, wo das Lilienmädchen saß, hervorgehen sollten. Und die Königin war ganz erstaunt und die hellen Thränen liefen ihr über die Wangen, und sie sprach zu ihrem Gemal: Theurer Herr, was ist das für ein Lied, das hier klingt? das Wiegenlied meiner kleinen Gunhilde

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_303.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)