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sie gleich zerschmelzen und die armen gebundenen Seelen wieder zum Leben erlöst werden. Nun hatte sie auch manches Mährchen von den Seufzern und Aechzern im Walde gelesen und es fiel ihr jetzt ein: Könnte ich denn nicht die Liebe haben und die armen Seelchen, die als Aechzer und Seufzer wimmern und flüstern müssen, erlösen und in mein Herz senken, daß sie zur Ruhe kämen und nicht mehr so traurig wären und seufzen müßten? denn die armen Kinder haben ja nichts Härteres verbrochen, als daß sie zu viel geliebt haben. Ja ich will die Seufzerchen erlösen! Das sprach die Prinzessin, und hat von dem Gedanken nicht lassen können und Tag und Nacht keine Ruhe davor gehabt, sondern er ist ihr immer lieber und gewisser geworden, und zuletzt hat sie alle Tage in den Wald gehen müssen und ist die Nächte oft heimlich von ihrem Lager aufgestanden und heimlich aus dem Schlosse gegangen und im Mond- und Sternenschein in der wilden Forst umhergeschlichen, und wo sie es tönen und ächzen und girren und schwirren gehört hat, das hat sie gelauscht, da ist sie hingeeilt und hat in ihrer freundlichen süßen Liebe die Bäume und Sträuche, die Blumen und Kräuter ja zuweilen die kalten Steine umarmt, daß sie an ihr warm würden und daß ihre traurigen Klagen zur Ruhe kämen.

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_442.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)