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ersten Jahre, wo sie noch jung und klein waren, Schneeweißchen ging doch recht oft zu dem breiten Stein unter dem alten Birnbaum und kratzte dort, und auch Christinchen blieb die Stelle immer lieb wegen der Erinnerung des ersten Sommers, wo Schneeweißchen zu ihr gekommen war.

Und als Schneeweißchen sieben Jahr alt und Christinchen fünfzehn Jahr und schon ein großes hübsches Mädchen war, da fing Schneeweißchen an zu pipsen und hatte trübe Augen und ließ die Flügel hangen und glucksete so traurig, und mogte gar wenig essen. Und Christinchen war sehr betrübt und streichelte und fütterte das liebe Hühnchen auf das zärtlichste und sorglichste. Aber das half nicht: Schneeweißchen lag eines Morgens todt da und Christinchen fand es neben dem Stein an der Stelle, wo es zu buddeln und sich sein kühles Sommerlager in der Erde zu kratzen pflegte. Und über diesen Todesfall entstand große Trauer im Hause, und da das Hühnchen nun todt war, fing ein jeder an sein Stück an dem lieben Schneeweißchen zu loben. Christinchen aber weinte sehr und hielt es in seinem Arm und küßte es viel tausend Mal und sagte: O du liebes liebes Hühnchen! o du trautes und goldnes Hühnchen! o du mein eignes eigenstes Hühnchen! gewiß hattest du ein lieberes und treueres Herz, als viele Menschen haben, und darum sollst du auch schön begraben werden, und die feinsten und hübschesten Blümlein sollen auf deinem Grabe blühen. Und Christinchen und die Mutter sprachen: Schneeweißchen soll

da schlafen, wo es im Garten immer gesessen und gekratzt

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen/Zweiter Theil. Berlin 1843, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_2_225.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)