Seite:De Arndt Mährchen 2 304.jpg

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Hätte aber einer es nur gewußt, der mächtigste Mann im ganzen Lande, wie geschwind würde dieser Glanz aus der Niedrigkeit und Verachtung erhoben seyn! Gott aber wußte es wohl, und er schickte Aschenbrödel noch einen Trost, und das war ein sehr großer Trost.

Gleich den Tag nach ihres Vaters Begräbniß, als ihr die schönen Kleider vom Leibe gerissen und die langen blonden Locken abgeschnitten wurden und sie zur gemeinsten Magd eingekleidet und in die Asche hinabgestoßen ward, kam ein weißes Täubchen geflogen, das sonst nicht im Hause gewesen war, und baute sein Nest bei andern Tauben dicht über der Küchenthüre, und wies sich, wenn es Aschenbrödel erblickte, immer sehr freundlich und munter, und schlug dann mit den Flügeln und girrte gar lustig. Und Aschenbrödel, die nun so einsam und verlassen war, gewann das weiße Täubchen bald sehr lieb, und es entspann sich eine besondere Freundschaft zwischen den beiden. Das kluge Täubchen aber ließ sich nichts merken, wann Aschenbrödel nicht allein war; denn wären die beiden Schwestern oder die Stiefmutter so etwas gewahr geworden, daß ihr das Täubchen lieb war, sie würden dem frommen Thierchen aus Bosheit augenblicklich den Kopf abgerissen haben. Darum hielt sich das Täubchen, das gewiß ein besonders kluges Vögelchen seyn mußte, bei Tage unter den andern Tauben fast immer ganz stille. Nur wann Aschenbrödel draußen allein Holz haute oder Wasser trug oder allein in der Küche stand und an dem Feuerherde wirthschaftete, kam es geflogen und girrte und freuete sich, und aß die Brodkrumen und Erbsen, welche

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen/Zweiter Theil. Berlin 1843, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_2_304.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)