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So war’s vor 100 Jahren auch, denn unsere reichen Leute haben es von jeher geliebt, zur Sommerzeit die engen dunkeln Gassen mit heiteren Landwohnungen zu vertauschen, darum hat’s auch von jeher Einhüterinnen gegeben. Aber nicht Alle waren und sind so besonnen und tapfer wie die Röhrbehnsch, eine Quartiermanns-Wittwe „hoch in die 59,“ welche in der Catharinenstraße im Hause ihrer vormaligen Herrschaft einhütete.

Sie hatte den Sonntag-Morgen wie gewöhnlich zugebracht. Nachdem der Milchmann und die Brodtfrau da gewesen, hatte sie die Hausthüre mit der Kette geschlossen; darauf hatte sie in ihrem „Zibürken“[1] einige Stunden gesessen und andächtig in einem Predigtbuch gelesen, worüber sie nur zweimal eingenickt war. Dann hatte sie sich ihr bischen Mittagessen bereitet, und dasselbe verzehrt; später hatte sie wieder in ihrem Zibürken beim Stickstrumpf etwas geseeltagt und war dabei einige Male vom befremdlichen Gerassel eines vorüberfahrenden Stuhlwagens erweckt; dann hatte sie demselben nachgeblickt, und völlig neidlos darüber meditirt, wohin die Glücklichen wohl führen, „na’n Billwarder, oder na de hoge Lucht und in’t Eimshüttler Holt, denn hen na Veerlannen, na Karkwarder, mank de Eerbeern,“ dafür war’s schon zu spät. Sie hatte die Anzüge der Damen gemustert, über die Heiraths-, Tauf- und Krankheitsgeschichten dieser Familien nachgesonnen, wobei sie auf die viel interessanteren ihrer Herrschaft gekommen war, – – so erschien die Coffe-Stunde, und nach eingenommener Herzstärkung trug sie ein Polster auf den Beischlag vor der Hausthüre, und setzte sich darauf. Es war


  1. Der kleine Glaskasten auf der Diele großer Kaufmannshäuser darin eine Dienstmagd oder Nähjungfer sitzt, um zugleich auf die Hausthüre zu passen.
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Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_365.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)