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12 Uhr, der Schlaf aber kam ihr nicht. Sie war ganz hellig und aufgeregt geworden, sie wußte selbst nicht wie und warum. Sie blickte auf die Diele, das Nachtlicht warf einen spärlichen Schein umher, es war ganz still, nur das Pickern der großen Dielenuhr vernahm sie. Da, wie sie zufällig den Englischen Ballen ansieht glaubt sie dort ein leises Geräusch zu hören, ja eine Bewegung zu bemerken; sie blickt schärfer hin, und gewahrt mit Entsetzen, wie aus dem Ballen etwas hervordringt, spitz und schmal, und nach fünf Secunden erkennt sie ein Messer und eine Hand, die vorsichtig von innen heraus die Leinendecke aufschneidet, – und nach drei Minuten erhebt sich ein Kopf, und ein großer wilder Kerl, das lange Messer in der Hand, steigt sacht und behend aus dem Ballen, reckt die Glieder, blickt sich um, zündet sich das Licht an und kommt leise auf sie zugeschritten.

War’s allein das Entsetzen, das ihr die Zunge lähmte, daß sie nicht schon zehnmal laut aufgeschrieen vor Schreck und Angst? War’s nicht auch ein Instinkt, der sie trieb, das zu unterlassen, was ihr Verderben gewiß machen würde, das zu thun, was allein sie retten konnte? Frau Röhrbehn befahl Leib und Seele dem allmächtigen Gott, drückte die Augen zu und athmete tief und schwer, als wenn sie fest schliefe. Der Kerl kam an ihr Bette, das Messer in der Rechten, das Licht in der Linken; schon war’s, als hole er aus zum mörderischen Todesstoß auf ihr Herz, dann besann er sich, beleuchtete sie, und um sich zu überzeugen, ob sie auch wirklich fest schliefe, berührte er kitzelnd ihr Kinn mit der Messerspitze. Gott gab der armen Frau eine Kraft und Standhaftigkeit, die unter tausend Menschen sich kaum einer zutrauen würde. Sie blieb in diesem furchtbaren Moment unbeweglich, verzog keine Miene, und fuhr fort den tiefsten Schlummer darzustellen. Der wilde Kerl mochte vielleicht an seine Mutter denken, vielleicht auch

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Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_368.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)