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anhaften, das es ersetzt. Ursprünglich hatte der Dom an der Westseite überhaupt kein Portal; nur eine kleine Pforte gestattete dem Bischofe, hier in den Dom einzutreten. Dafür ging das große Fenster dort ebenso tief herunter, wie die beiden ähnlichen in den Transeptseiten. Diese drei gewaltigen Fenster, mit herrlichen Glasgemälden geschmückt, bildeten eine der Hauptschönheiten des Domes. Das Hauptportal befand sich – wo es noch jetzt steht – auf der Südwestecke des Domes. Wie ein alter Domherr mir sagte, läge dem Dome folgende künstlerische Idee zu Grunde: Der Baumeister denkt sich den heiligen Stephanus, dem die Kathedrale geweiht ist, auf dem hohen Chore unter dem Steinhagel der Juden zusammengebrochen. Der Himmel öffnet sich ihm, wie er selber sagte: »Ecce, video coelos apertos« (Ich sehe den Himmel offen) Apg.7, 56. Diesen Blick in die Herrlichkeit des Himmels habe der Künstler darstellen wollen in den imponierenden Pfeilerstellungen, den aufstrebenden Gewölben, den mächtigen, farbenprächtigen Fenstern. Ein großartiger Gedanke, den die Wirklichkeit nicht Lügen straft[1].

Das Jahr 1904 brachte den aufsehenerregenden »Fall Fameck«. Das französische Gesetz vom 12. Juni 1804 bestimmt (Art. 15), daß in den Gemeinden, wo es mehrere Konfessionen gibt (où l’on professe différents cultes), eine jede ihren besonderen Friedhof haben soll, und daß da, wo nur ein Friedhof vorhanden ist, derselbe in ebensoviel Teile geteilt werden soll, als Konfessionen vorhanden sind.

Die deutsche Regierung legte dieses Gesetz so aus, daß die Trennung der Kirchhöfe nur da zu gestatten sei, wo die betreffenden Konfessionen öffentlichen Gottesdienst halten; wo dies nicht der Fall ist, dürfe eine Trennung der Begräbnisstätten nicht vorgenommen werden, also mit anderen Worten, in den rein katholischen Gemeinden müssen die Protestanten »in der Reihe« begraben werden.

Meine Amtsvorgänger hatten diese Auslegung abgelehnt, weil sie im Widerspruch stehe mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes

  1. Als Plan für die späteren Jahre schwebte dem Bischof die Erweiterung der Choranlage vor der Seele.
Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)